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Peau d'homme, coeur d'bête

Fr 1999 (Peau d'homme, coeur d'bête) Regie Hélène Angel, 93 Min.

Die Rückkehr des verstört wirkenden Coco komplettiert den Familienkreis, der drei Pujol-Brüder. Coco erzählt, er sei jahrelang in der Fremdenlegion gewesen. Frankie, der wegen seiner cholerischen Anfälle im Polizeidienst Probleme hat, schlägt und küsst ihn dann zur Begrüßung. Der kleine Alex wirkt noch am vernünftigsten, hängt allerdings in der kriminellen Szene des Örtchens im Süden Frankreichs. Der örtliche Pate ersetzt ihm den Vater. Regelmäßige Männerausflüge zur Stripbar enden schon mal mit einer Vergewaltigung. Meist muss Annie, die frühere gemeinsame Liebe von Coco und Frankie unter dem Männerhaufen leiden.

Das Schreckliche an dieser recht gewöhnlichen Normalität: Alle wissen, wie Coco ist, er war schon früher so, nur keiner redet davon, geschweige verhindert es. Irgendwann startet er dann ohne Grund den ungebremsten Amoklauf: Coco demoliert eine Bar, schlägt seine Mutter nieder, bringt Annie um. Ähnlich wie bei der zwiespältigen Begrüßung gibt Frankie ihn (an die Gangster?) preis und lässt ihn dann laufen. Der rasant aufgestiegene Junggauner Alex übernimmt es, diese blutige Familiengeschichte aufzuräumen und gleichzeitig fortzuschreiben.

Vater Pujol, ein Algerienkämpfer, erschoss sich mit dem Gewehr. Ist die Gewalt sein Erbe? Weist Cocos Gerede von Ronnie auf eine Schizophrenie hin? Es gibt in Hélène Angels Film nicht viele Erklärungen, selten einen freien Blick auf die bergige Landschaft. Dafür immer wieder Träume: Aurelie sieht in ihren prähistorische Monster (= Gewalt?). Alex verarbeitet in der Nacht die vagen Erinnerung an den Tod des Vaters. Christelle, die auch im Off erzählt, warnt mit ihrer Horrorgeschichte vom Kinder verspeisenden Coco die kleinere Schwester.

"Peau d'homme, coeur d'bête" überrascht als thematisch und schauspielerisch packender Spielfilmerstling. Hélène Angel realisierte bislang einige Kurzfilme (u.a. "La vie parisienne"). Die Inszenierung wirkt authentisch und bietet gleichzeitig viele Denkanstöße, etwa wie die drei Brüder auf unterschiedlichen Positionen der Gesellschaft Gewalt ausüben. Ähnlich zu Gaspar Noés Gewalttäter-Film "Seul contre tous" schwebt die Haltung zwischen nüchterner Distanz, wenn der Wetterbericht eine Verhaftung begleitet und herzlicher Anteilnahme, vor allem für die beiden jungen Töchter Frankies, die 13-Jährige Christelle und die 5-Jährige Aurelie. Ihnen gilt das hoffnungsvolle Schlussbild: Zusammen mit der zwischenzeitlich verstummten Aurelie schreit Christelle auf einer hohen Bergkuppe zu Divine Comedys "Tonight we fly" ihre Gefühle heraus.

"Peau d'homme, coeur d'bête" gewann 1999 den Goldenen Leoparden des 52. Filmfestivals von Locarno. Serge Riaboukine, der große, pockennarbige Darsteller des Frankie, erhielt den Bronzenen Leoparden als Bester Schauspieler des Festivals.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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