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Little Voice

Mit dem Publikumserfolg "Brassed Off" gab Regisseur Mark Herman der britischen Sozialkomödie vor drei Jahren musikalischen Schwung. Auch sein neuer Film "Little Voice" spielt sehr humorvoll mit dem besonderen Verhältnis der Briten zum populären Liedgut auf. Allerdings folgt dem politisch-öffentlichen Umfeld von "Brassed Off" nun eine kleine, familiäre Geschichte.

Die Little Voice genannte "Heldin" (Jane Horrocks) ist ein stilles, junges Mauerblümchen, das sich über dem verwaisten Plattenladen ihres verstorbenen Vaters zwischen Tagträumen und in Vinyl gepreßten Erinnerungen versteckt. Sie lebt zurückgezogen in einer Welt aus musikalischen Evergreens. Little Voice - oder kurz L.V. (sprich "el-wie") - heißt so wegen ihrer piepsigen Stimme, die sie selten genug hören läßt. Dafür spielt das zierliche Wesen mit den strähnigen Haaren Tag und Nacht die alten Platten ihres Vaters. Die grobschlächtige Mutter Mari Hoff (Brenda Blethyn) hingegen redet ununterbrochen. Dies zudem mit einem vor allem lauten Organ, so daß die Tochter zwangsläufig verstummen mußte.

In einer alleinstehenden Verzweiflung greift sich Mari jeden erreichbaren Mann. Ray Say (Michael Caine), ein Starpromoter, der von angeblich besseren Zeiten zehrt, horcht allerdings mitten im Sauf- und Sexgelage auf: Mit einer faszinierenden Stimme imitiert L.V. bekannte Schlager und versucht die für sie unerträglichen Lustgeräusche zu übertönen. Verblüffend und bezaubernd erklingen die Standards berühmter Sängerinnen wie Judy Garland, Shirley, Bassey, Marilyn Monroe, Marlene Dietrich oder Billie Holiday aus der Dachkammer. Schnell entwirft Ray große Pläne von Erfolg und Reichtum: Das extrem schüchterne Mädchen soll im schmuddeligen Club von Mr. Boo (Jim Broadbent) erstmals auf die Bühne, obwohl sie sich kaum aus dem Haus traut.

"Little Voice" erzählt nicht nur die kleine Geschichte vom - sehr schnellen - Aufstieg und Fall eines unfreiwilligen Stars. Gleichzeitig entspannt sich eine stille Liebesgeschichte mit dem fast ebenso leisen Fernmeldetechniker und Taubenzüchter Billy (Ewan McGregor), der mit viel Geduld den richtigen Draht zu L.V findet.

"Little Voice" bietet durchgehend ein sympathisches Filmerlebnis. Eindrucksvoll ist vor allem Hauptdarstellerin Jane Horrocks mit ihrer Sangeskunst. Die Mittdreißigerin tritt als "Little Voice" nach vielen TV- Auftritten und Rollen in "Life is Sweet" oder "Memphis Belle" nachdrücklich ins Rampenlicht. Wie sie die vielförmige Stimme in erstaunlichen Gegensatz zu ihrer fast durchscheinenden Präsenz bringt, ist immer wieder irritierend und faszinierend. Es ist schwer zu glauben, daß der musikalische Ausdruck so vieler Gefühle, Stimmungen und Frauentypen aus einen derart verhuschten Wesen erklingt. Horrocks imitiert die Vorbilder so verblüffend, daß es der Abspann bestätigen muß: Sie hat alle Lieder selbst gesungen. Schon auf der Bühne spielte sie diese, speziell für sie geschriebene Rolle in Jim Cartwrights "The Rise and Fall of Little Voice". Die mal einfühlsame, mal geschmetterte Darbietung der Evergreens von "Somewhere Over the Rainbow" über "My Heart belongs to Daddy" bis "Big Spender" fügt das ihre zum Filmvergnügen bei.

Bemerkenswert ebenfalls der Auftritt von Michael Caine, dessen hemmungslos heruntergekommene Figur Ray Say ihre Niederlage mit einer heftigen Publikumsbeschimpfung feiert. Neben ihm sind ein nur netter Ewan McGregor sowie eine sagenhaft schlampige Brenda Blethyn ("Lügen und Geheimnisse") zu sehen. Doch gerade deren oscarnominierte Darstellung stimmt bedenklich. In Dessous, die besoffene Körperfülle nicht halten können, wird sie der Kamera und dem hemmungslosen Lachen des Publikums dargeboten. Viele der humorvollen britischen Sozialfilme vermeiden es knapp, ihre Figuren der Lächerlichkeit Preis zu geben. Bei der wenig sympathischen Mari Hoff, einer unerträglich quasselnden, lieblosen Schlampe, wurde die Grenze überschritten.

Der eindrucksvolle Solopart Jane Horrocks begründet allerdings auch die Abstriche gegenüber dem dichteren Vorgänger. Mark Herman brachte uns mit "Brassed Off" noch die Figuren- und Themenfülle eines ganzen Blasorchesters samt Anhang, eigentlich eines ganzes Kohlereviers exemplarisch nahe. In "Little Voice" geht es bescheidener, intimer zu. Eine Handvoll Figuren in einem einfachen Plot - das macht schon der Titel der Vorlage klar: Aufstieg und Fall von Little Voice. Doch daß die simple Metapher zu L.V.'s Freiheit in Form von Billys Tauben emporsteigt, paßt eigentlich recht gut zu den gefeierten Schlagern in diesem wahrlich beschwingenden Erlebnis: Come on get happy ...


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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