Karriere Girls

GB 1997 (Career Girls) Regie Mike Leigh, 90 Min.

Annie kommt in den ersten Bildern gleich zweifach in London an:Unruhig sucht sie als junge Studentin am schwarzen Brett eineWohnung. Entspannt lächelnd sitzt sie im Zug und erinnert. DerBesuch bei der ehemaligen Mitbewohnerin Hannah(Katrin Cartlidge) ist gleichzeitigeine Reise in die vergangenen Studienjahre. Damals hatte Annie (LyndaSteadman) Neurodermitis. Gezeichnet vom Ausschlag an Hals und Wangehielt sie den Kopf gesenkt, spielte nervös an ihren Haarenherum, streifte die Strähnen tickhaft immer wieder nach hinten.Hannah hingegen rannte hypernervös durchs Zimmer, haute sich mitder Hand gegen den Kopf, keifte alle an, sich selbst eingeschlossen.Ihre aggressiven Bemerkungen waren (und sind immer noch) brillant -wenn auch damals meist tief verletzend. Zusammen wirkt dieseWG-Besatzung extrem anstrengend und erinnert im Film an eineLaientruppe, die "Einer flog übers Kuckucksnest" spielen will.

Heute sind Annie und Hannah zwei junge Frauen und entfernteFreundinnen. Gutgekleidet, umgänglich und etwas reserviert beimersten Wiedersehen sechs Jahre nach dem Ende des Studiums. Esereignet sich ein spaßiger und nachdenklicher Tag mit seltsamenBegegnungen und Zufällen. Selbst Ricky Burton (Mark Benton), derebenso intelligente wie fette Untermieter von damals findet sich ander alten Wohnung ein. Aber er hat es nicht geschafft, er mußjetzt in "Einer flog übers Kuckucksnest" mitspielen und kommtnie mehr raus aus der Verlorenheit seiner wirren Kommunikation.

Annie und Hannah bilden extreme Gegensätze, die Sensible unddie Ruppige. Während Annie sich nicht mehr erinnert, was vorihrem achten Lebensjahr geschah, hat Hannah seit dieser Zeit nichtmehr geweint. Annie weint dauernd. Bei einem gemeinsamen Essenvergleichen sie, was aus den früher rituell gestellten Fragen aneine Ausgabe von Brontes "Stürmische Höhen" geworden ist,aus der Liebe und aus den Männern. Hannah gesteht ein, daßihre Stärke nur Schwäche überspielt und daß siesich gerne die Schwäche von Annie erlaubt hätte ...

Der Nachfolger von Mike Leighs Cannes-Sieger"Lügen undGeheimnisse" ist ein ruhiger Fluß der Erinnerungen mit sehrmildem Blick auf das Jetzt und mit einer schrillen Überzeichnungder Vergangenheit. Annie und Hannah haben Karriere gemacht, und zwardie Beste und die einzige, die zählt: Sie haben ihr Lebengemeistert. Halbwegs, denn die harte Vergangenheit beider verharrt inAndeutungen. Hannah mit ihrer saufenden Mutter und Annie mit denTräumen eines Dunklen, das sie in der Nacht bedroht. Die zweigereiften Menschen gehen einem nahe, die jungen sind zu schrägfür ein Verständnis. Was soll dieses extremeÜberaktieren? Die ins Studium verlängerte wilde Jugenderscheint in "Karriere Girls" als Krankheit, wer in ihr verharrt gehtund wird "irre". Dabei hat Mike Leigh zuletzt in"Nackt" bewiesen, daß es auchExtreme realistisch und glaubwürdig inszenieren kann. "KarriereGirls", ein interessanter Film: gut und zwiespältig.

Günter H. Jekubzik


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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