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Nackt

GB 1993 (Naked) R: Mike Leigh, 131 Min.

"Nackt" ist auf keinen Fall eine Empfehlung für meinen Freund, der sich nicht durch einen Film ein elendes Gefühl verpassen lassen will. "Nackt" zeigt häßliche Seiten des menschlichen Seins so extrem, daß man das Bedürfnis, sich von ihnen abzuwenden, unterdrücken muß. Zentrale Figur ist der arbeitslose, nach London geflohene Johnny. Er dringt in die Wohngemeinschaft seiner ehemaligen Freundin ein und nutzt sein elendes Leben, anderen Schwachen, am Boden Liegenden noch ein paar Stöße zu versetzen. Zwischen den Menschen findet bis auf eine Szene nur aggressives Niedermachen statt. Dieser Johnny ist allerdings nicht dumm. Seine literarisch fundierten Gemeinheiten schneiden mit scharf geschliffener Rhetorik. Seine düsteren Lebensansichten und Endzeit-Prophezeiungen - 'Die Offenbarung des Johnny' - sind schlüssig.

"Nackt" ist alles andere als erotisch, die abstoßende gewalttätige Sexualität der Männer geht bis zur Vergewaltigung. "Nackt" bezieht sich vielleicht eher auf nackte Gefühle. Das gemeine und selbstzerstörerische Verhalten der "Nackt"-Gestalten läßt eine brutale, gnadenlose Sozialisation vermuten. Johnny würde aber diesen Niedergang der Menschlichkeit nur als ein Teil des menschlichen Wesen bezeichnen. Mike Leigh ("High Hopes", "Life Is Sweet"), ein bisher zu wenig beachteter Regisseur, zeigt niederschmetternd Gestalten, die sich grimmig in den nächsten Kreis der Hölle drängen. Männer und vor allem Frauen wehren sich kaum. Ein Versuch, die Figuren soziologisch zu interpretieren führt nicht allzu weit, auch wenn die einzig rein böse Figur ein dummer, sadistischer Reicher ist.

Johnnys kleine Odyssee durch London legt stellenweise eine verrückte Stadt bloß, die äußeren Ursachen für die inneren Trümmerfelder sind in "Naked" nicht zu sehen. In seiner Perspektivlosigkeit erinnert "Naked" an Ken Loach, einem anderen scharfen Beobachter der britischen Gesellschaft, der in "Ladybird, Ladybird" auch keine Erlösung am Ende bietet.

David Thewlis erhielt für die Rolle des Johnny in Cannes 1993 den Darstellerpreis, Mike Leigh die Goldene Palme für die Beste Regie.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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