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Der kleine Gangster

Ruhe ist Markenzeichen Jacques Doillons. Im Gegensatz zu den abstrakten Dreiecksspielen über Liebe und Leben ist "Der kleine Gangster" jetzt Thema und eindrucksvoller Darsteller. Wieder ist der Raum gefüllt mit Spannung zwischen jung und alt oder Mann und Mädchen, doch soziale Bedingungen von Kriminalität und die Sehnsucht nach einer heilen Familie bringen das reizvolle und intensive Spiel nahe ans Leben.

Die Arbeiten von Jacques Doillon sind Filme, an deren spröder Trockenheit man sich reiben kann. Für einige ist es unerträglich langweilig, für andere faszinierend, Doillons Figuren mitzuerleben. Im ruhigen, personenkonzentrierten Stil ähneln seine Filme denen von Eric Rohmer oder Jacques Rivette. Doch die Art wie deren Figuren inszeniert werden, unterscheidet sich bei näherem Hinsehen deutlich.

Die Themen des französischen Regisseurs sind Zuneigung und Eifersucht, die Handlungsorte sind bei Doillon meist innen und abgeschlossen. Das Dreieck ist seine beliebteste Form der Personen-Konstellationen. Sei es in "Eine Frau mit 15" (1988) der Vater (gespielt von Jacques Doillon) mit seinem vierzehnjährigen Sohn und dessen Freundin in der Abgeschiedenheit eines Ferienhauses. Oder das Mädchen und die reife Frau und der abwesende, gemeinsame Mann in "Die Rache einer Frau" (1989).

Doillon, der seit 1970 über zwanzig Filme machte, erinnert sich kaum an seine eigene Kindheit, dreht aber vielleicht deshalb um so häufiger Filme mit Jugendlichen. Auch arbeitet er lieber mit Kindern und Frauen, weil sie offener für ungewöhnliche Rollen sind, nicht so verschlossen wie männliche Schauspieler: "Für mich ist das Risiko kleiner, wenn ich einen Jungen von der Straße nehme, einfach zufällig."

Zu seinem "Kino der Gesichter und der Wörter" sagte Jacques Doillon in einem Interview: "Es bedeutet für mich, ein wenig nach innen vorzustoßen, danach zu schauen, was unter den Dialogen liegt, was hinter den Gesichtern steht. Nicht der Satz, der sich so dahinsagt ist wichtig, sondern daß, was er verbirgt."

Doillon ist ein Schauspieler-Regisseur, bei dem der Regisseur und seine Geschichte hinter den Darstellern und ihren persönlichen Anteilen zurücktritt. Bei "Eine Frau mit 15" ließ er sich stark von den Erfahrungen der Hauptdarstellerin Judith Godreche leiten. Die bei ihm so häufigen jungen Mädchen, sind nicht die naiven Lolitas des neueren französichen Films. Doillons Mädchen erweisen sich im langsamen Verlauf der Geschichte als stärker und konsequeter als die meist älteren Männer.

Der Aussenseiter, dessen sehr persönliche Werke sich nicht einordnen lassen, arbeitet bevorzugt mit lange Plansequenzen, in denen sich das Leben entwickeln kann und in geschlossenen Räumen, die Störungen fernhalten.

In "Der kleine Gangster" blickt Doillon aus seinen Innenräumen hervor, auf die Vorstädte und auf einen verlorenen Jungen. Der erfährt von der alleinerziehenden Mutter, daß er noch eine Schwester hat, schnappt sich einen Revolver und nimmt sich nach einem öberfall einen Polizisten als Geisel. Die neue Macht und Freiheit ist ein Schein - "Der kleine Gangster" befindet sich mit seinem Spielpartner meist im Inneren eines Polizei-Rovers. Beide handeln gleichermaßen ungeschickt und die Handlung stolpert so mit viel Zeit für innere Auseinandersetzungen voran. Die Schwester wird abgeholt, doch immer wechselnde Anziehungen und Abneigungen erhalten das nun entstandene Dreieck.

Doilons "kleiner Gangster" hat im Vergleich zu seinem früheren Werk mehr äußere soziale Aspekte. Er handelt von der Sehnsucht nach einer Familie, von Ausweglosigkeit, von abgelehnter Hilfe und Hilflosigkeit. Aber obwohl "Der kleine Gangster" leichter konsumierbar ist, fast schon ein Action-Film gegenüber den anderen, bleibt er doch ein typischer Doillon-Film. Vielleicht die beste Gelegenheit, sich mit diesen improvisierten Gefühls-Inszenierungen auseinderzusetzen.