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Das Fest

Dänemark 1997 (Festen) Regie Thomas Vinterberg, 106 Min.

"Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie beim 60. Geburtstag meines Vaters Helge, der übrigens mich und meine Schwester als Kinder sexuell mißbraucht hat. Damit trieb er meine Schwester in den Selbstmord. Nun wünsche ich Ihnen einen guten Appetit und einen schönen Abend." So ähnlich entdeckt Christian (Ulrich Thomsen) ganz beiläufig ein schreckliches Familiengeheimnis während einer Tischrede. Der angesehene Hotelier (Henning Moritzen) feiert auf seinem abgelegenen Anwesen ein aufwendiges Fest. Die übliche Gereiztheit solcher Anläße sorgt für kleine Konflikte, doch die Bombe platzt erst beim Essen.

Es gibt für die Zuschauer keine Zweifel an der Wahrhaftigkeit von Christians Anschuldigungen. Unglaublich ist allein die Reaktion der (Fest-) Gesellschaft: Als hätte gerade jemand den Wetterbericht verlesen, schreiten sie im Menü fort. Man fühlt sich geradezu verbunden mit dem schwerhörigen Alten. Es kann doch nicht wahr sein, was man gerade gehört hat. Die Selbstverständlichkeit der Ignoranz läßt einen an der Realität der Ereignisse zweifeln. Doch wieder und wieder insistiert Christian, wird geschlagen, rausgeworfen und kommt mit seiner Wahrheit zurück. Nur der Koch und das Hotelpersonal helfen dem ehemaligen Jungen, der zwischen ihnen aufgewachsen ist. Sie lassen die Autoschlüssel der Gäste verschwinden, denen die ganze Sache doch zu mulmig wird. Nun müssen sie miterleben, wie es weitergeht ...

Bei mehreren hunderten Werken unterschiedlichster Stile und verschiedenster Nationen, die das Filmfestival von Cannes im Mai 1998 präsentierte, drängte sich das Thema Kindesmißbrauch ungewohnt häufig auf: Mindestens fünf Filme in den Hauptsektionen behandelten es. Thomas Vinterbergs dänisches Familienfest "Festen" konfrontiert als bester unter ihnen eine feierliche Gesellschaft mit der lange verdrängten Vergangenheit des 60-jährigen Familienoberhaupts Helge. Als erster Geburtstagsredner erzählt Sohn Christian trocken und freundlich, wie er und seine Schwester vom Vater mißbraucht wurden. Während der weiteren Feierlichkeiten versucht die heuchlerische Gesellschaft die immer deutlicher werdenden Anschuldigungen zu ignorieren. "Festen" schafft in der Abgeschlossenheit des Familienhotels eine unglaubliche Situation.

"Das Fest" ist nicht einer dieser schweren Seelen- und Problemfilme aus Skandinavien. Das Erschreckende wird hier im ungewöhnlichen Stil amüsant erzählt. So unglaublich es klingt - es funktioniert! Der Däne Vinterberg verfaßte mit drei weiteren Kollegen - unter ihnen auch der berühmte Cannes-Sieger Lars von Trier - das "Dogma", nach dem Filme nur mit begrenzten Mitteln realisiert werden dürfen. Kein künstliches Licht darf verwandt werden, nur eine Art von Filmmaterial und Objektiv. Keine Technik soll die Kamerabewegung unterstützen, Musik darf nicht nachträglich über die Szene gelegt werden. Während Lars von Trier mit seinen "Idioten" aus diesen Bedingungen einen extremen Film schuf, drängt sich Vinterbergs Stil nicht vor den Inhalt seines bewegenden Films. Obwohl das Geschehen zeitweise absurd erscheint und erstaunlich viel Raum für Humor bleibt, zeichnete Vinterberg seine Menschen sehr sorgfältig. "Das Fest" erhielt in Cannes den Spezialpreis der Jury - in der Vergangenheit oft der Start zu einer großen Karriere.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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