Brigands

Fr/Rußland/I 1996 (Brigands: Chapitre VII) Regie OtarIosseliani, 122 Min.

Die immer wiederkehrende Geschichte eines Volkes, das sich imStreit und Bürgerkrieg selbst aufreibt. Nicht Kusturicas"Underground" von Jugoslawien, nein: auch für Georgienläßt sich solch eine blutige, völligdesillusionierende Geschichte vortrefflich und mit bitterem Humorerzählen. Und wer könnte dies besser als derfabelhafte FabuliererIosseliani, ein geborener Georgier, der nicht wie Stalin Diktatorwurde, sondern wie viele andere Patrioten ins Pariser Exilflüchtete und versuchte, in der Welt der Kunst zu leben.

"Brigands" erhielt bei den Filmfestspielen von Venedig 1997 denGrand Prix der Jury. Osseliani erzählt in "Brigands" die immergleiche Geschichte seines Landes mit den immer gleichen Figuren: Malsind sie Könige, dann Diebe, die für den Sieg desKommunismus rauben und nachher in bekannten weißen Uniformen(Stalins) eigentlich auch immer noch Diebe, dies jedoch imgroßen Stil. Ob im Mittelalter, in den Zehner Jahren unseresJahrhundert oder heute.

Im Mittelalter war Vano der König eines kleinen Reiches.Immer in Kriegsgeschäften oder auf Kreuzzügen unterwegs,legte er seiner Gattin einen Keuschheitsgürtel um. Doch schonbeim Schmied entstand heimlich ein zweiter Schlüssel - dieseGeschichte kann nicht gut ausgehen. Was Vano den späterenGenerationen vererbt, ist vor allem ein gebundener Katalog seinerliebsten Foltermethoden.

Die Geschehnisse in den Folterkellern des Kommunismus werdeneinige hundert Jahre später ebenso abstrus dargestellt wie dieHinrichtung einer Königin oder die Absurdität des heutigenBürgerkrieges. Vano steht morgens auf, schlurft durch teilszerbombte Straßen und biegt nur zufällig rechtzeitig umdie Ecke, bevor ihn eine Granate auf dem geraden Wege um die selbegebracht hätte. Das ist dem verkaterten Vano kaum eineKopfdrehung wert. Das Geschütz mitten auf der Straße dientals geselliger Gesprächsstoff, der Panzer alsMitfahrgelegenheit. "Schießt du auf Menschen?" "Auf den Feind!""Na dann ..."

Zum Frühschoppen mit Grilleinlage treffen sich die dreiKumpels im Grünen. Neben ihnen explodiert ein Panzer. Doch diesist schon die dritte Geschichtsepoche, die uns Iosseliani in seinenKapiteln der Gauner-Historien darbietet. Wir sollten chronologischvorgehen, um die Lethargie, den Fatalismus und AbgebrühtheitVanos zu verstehen.

In den Zehner Jahren unseres Jahrhunderts mischt sich Vano unterdie feine Gesellschaft der Jahrmärkte, um Brieftaschen und Uhrenzu rauben. Eine schöne Revolutionärin zwingt ihn, fürdie gerechte Sache zu kämpfen und nach dem Sieg das Sozialismuswird eine intellektuelle Familie im Handstreich aus ihrer Wohnungdeportiert, damit Vano schlüsselfertig einziehen kann. Selbstdas Mittagessen steht noch Warm auf dem Herd. Irgendwann als dasGeschichtsrad sich etwas weiter gedreht hat, wird Vano auf diegleiche brutale Weise aus seiner Wohnung geworfen wie die Vormieter.

In einer anderen Familie darf der Sohn dem Vater bei der Arbeitzusehen. Vater ist Folterknecht des Regimes, die Instrumente werdengenußvoll vorgeführt. Doch dies hindert den Sohn nichtdaran, noch vor der ersten Schulstunde die "Vergehen" der Eltern amSystem dessen Handlangern zu verraten. Während das MittelalterIosselianis an albernes Laientheater erinnert, steckt der Stalinismusvoller bitterer Häme. Doch ebenso wie die Lakonie derBürgerkriege und der Jetztzeit kommen sie spaßig daher.Heimatliebe ist wenn man trotzdem lacht.

Noch etwas später liegt Vano auf den Straßen von Parisherum, träumt als Bettler und Obdachloser von besseren Zeiten.Einige seiner Landsmänner machen mit Waffengeschäften imWesten großes Geld und verprassen es auch im großen Stil.Den Rahmen des Ganzen, all dieser kunstvoll verbundenen Kapitel derBrigantengeschichten, bildet eine Filmvorführung für dicke,desinteressierte Herren. Versehentlich zeigt der Vorführer(Iosseliani?) den letzten Akt zuerst und verrät einabschließendes Massaker eines jungen Mädchens an einerGruppe Erwachsener beim Strippoker.

Dem Film sind die geringen Mittel seiner Produktion jederzeitanzusehen. Wie bei Rivettes "Jeanne d'Arc" müssen ein paarPferde für ganze Heere herhalten und explodierende Fahrzeugeverschwinden immer kurz vor dem Knall hinter einer Ecke. diePyrotechniker brauchen dann nur noch einen Reifen anzuzünden,der wieder hervorrollt. Doch genau das steht der Farce ausgezeichnet."Brigands" ist eine Stummfilm-Burleske mit ganz wenigen Dialogen."Brigands" lebt von der in schelmisches Filmen verwandelten Wutüber ein verlorenes, geliebtes Land.


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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