München
USA 2005 (Munich) Regie: Steven Spielberg mit Eric Bana, Daniel Craig, Geoffrey Rush 164 Min.
Der bislang wichtigste Film von Steven Spielberg ist heftig umstritten - aus Gründen, die den Film nur tangieren. Als Aufschrei gegen Rache und Vergeltung müsste der ebenso ergreifende wie nachdenkliche Politthriller "München" Pflichtprogramm für alle Parlamentarier, Geheimdienstler und politische Führer sein.
Spielberg beginnt chronologisch mit der Geiselnahme israelischer Sportler durch Palästinenser während der Olympischen Spiele in München 1972. In den ersten zehn Minuten sieht man Szenen, die das schreckliche Morden zusammenfassen und Menschen aus vielen Bevölkerungsgruppen in aller Welt vor den Fernsehern. Dann trifft die israelische Premierministerin Golda Meir, eine mütterliche, menschliche Regierungschefin, die Entscheidung zur Vergeltung, und merkt an: Eigentlich sollte jede Zivilisation mit ihren Gegnern über Kompromisse verhandeln.
Den Auftrag zur Rache an den Mitgliedern der Palästinenser-Organisation "Schwarzer September" erhält der junge, recht unerfahrene Geheimdienstler Avner Kauffman (Eric Bana, vom Superman wird zum gebrochenen Secret Agent). Als Anführer einer kleinen Truppe aus Agenten reist er um die Welt, zu Richten und zu Henken. Das erste Teamtreffen ist ein nettes Abendessen von Privatiers, mit dem deutschen Antiquitätenhändler Hans (Hanns Zischler) sowie einem Spielzeug-Mechaniker und Bombenspezialist aus Brüssel. Das erste Opfer in Rom erweist sich als armer Literat und sympathischer Erzähler aus 1001 Nacht. Kein an dem Attentat Beteiligter, wie sich herausstellt, nur ein theoretischer Verfechter der palästinensischen Sache. Beim zweiten Opfer stellt Ephraim (Geoffrey Rush) bereits Fragen: Was hat dieser Mensch getan?
Ein Mädchen im roten Pullover - das Rot, das in der ansonsten schwarz-weißen "Schindlers Liste" das Opfer markierte - macht das Richter und Henker-Spielen in Paris spannend. Noch glaubt man den Auftraggebern, noch folgt man dem alttestamentarischen Prinzip "Auge um Auge". Doch Spielberg zeigt, dass das Töten und das Rächen nicht einfach von der Hand gehen. Avners Leute stellen sich wie die engagierten Anfänger an, die sie ja auch sind. Beim zweiten Opfer war die Bombenladung zu schwach, beim dritten ist sie viel zu stark, verletzt auch Unbeteiligte. Hans stellt derweil kühl die Rechnung auf: 300.000 Dollar kostete der erste Mord, 200.000 der zweite. Derweil gibt es erste Reaktionen, Briefbomben an israelische Botschaften, ein "Dialog" beginnt, heißt es zynisch.
Bei einem brutalen Massaker in Beirut trägt Avner eine KZ-Mütze. Dazu ein Seitenblick: Der junge Sohn, der den Mord an seinen Eltern miterlebt. Was wird dieser Palästinenser in der Zukunft tun? In Athen, wo ein Unterschlupf in einer absurden Situation an gleich zwei Geheimdiensttruppen vermietet wurde, spricht Avner, getarnt als deutscher Geheimdienstler mit einem gegnerischen Agenten, der den Wunsch nach Heimat und Vaterland überzeugend vertritt. Da ist einer wie er selbst auf der anderen Seite, das Mitgefühl im Blick auf den bald darauf eigenhändig Ermordeten gehört zu den stärksten Momenten des Films.
Als Thriller erzählt "München" altmodisch, aber darum geht es nicht
in dieser vor allem psychologisch spannenden, politischen Stellungnahme.
"München" komprimiert unzählige historische Tragödien in einem
Menschen. Avnet muss erkennen, dass Rache keine Erlösung ist. Er kann
das - immer intensiver eingeblendete - Leid der Olympia-Morde nur auf sich
nehmen und damit leben. Ausgerechnet in New York hat er die Erkenntnis, dass
jeder Tote nur neue Gegner schafft, dass Rache keinen Frieden bringen kann.
Das letzte Panorama zeigt die Twin Towers, deren Fall eine neue Welle von
Gewalt, Rache und Hass über die Welt brachte. Und dann könnte man
der "Wir verhandeln nicht mit Terroristen"-Idiotie den Satz Golda Meirs vom
Anfang entgegenhalten: Eigentlich sollte jede Zivilisation mit ihren Gegnern
über Kompromisse verhandeln.
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