Lea
BRD 1996 (Lea) Regie und Buch Ivan Fila, 100 Min.
Eine arme ländliche Tristesse in der Ostslowakei. Denselbstgebauten Drachen, der ein wenig Farbe in die ödeLandschaft bringt, schneidet der Vater brutal ab. Bei der Flucht vorden Schlägen und Vergewaltigungen des Vaters wird die Mutterermordet. Die grausame Tragödie der ersten Minutenläßt eine geschockte und stumme Lea zurück.Schweigend dient sie in einer Adoptivfamilie, mehr Magd als Tochter.Nur den letzten Wunsch der Mutter, "Schreib' mir", erfüllt siemit Leidenschaft: Poetisch geschriebene und gemalte Briefe sammelnsich im Erdloch unter einem alten, toten Baum. Eine Galerie ausKerzenstummeln erwärmt diese letzte Zuflucht Leas.
Irgendwann kommt ein grober, rauher Deutscher in diehügelige, rauhe Landschaft. Bietet 50.000, droht und fährtschließlich mit der jungen Frau Lea (LenkaVlasáková) neben sich nach Bayern. Sie meint, es gingezu einer einträglichen Arbeitsstelle. Der Stiefvater darf aufdem Land bleiben, das nach den Grenzöffnungen an den DeutschenStrehlow fallen sollte. Strehlow (Christian Redl) ist einKämpfertyp, schießt im verfallenen Hof, stählt denKörper und schlägt die Frau. Der Tod grinst in seinemSchlafzimmer aus einer medaillenbehängten Uniform. StrehlowsGefühle, sein Inneres bleiben hinter Glas verborgen. Erbehandelt Lea wie ein Kind und erntet in Leas Gedichten diespöttische Beschreibung "Mein Herrlein". Zuerst zerreißtStrehlow die versteckten slowakischen Verse, vermutet hinter demAdressaten in der Slowakei einen Liebhaber. Dann trägt er sie zueiner Übersetzerin (Hanna Schygulla), die ihm die Schönheitder Gedanken vermittelt und auch einige Ratschläge zurLiebeskunst gibt.
"Kriegen Sie es wieder hin?" Die Frage desAntiquitätenhändlers Block (Udo Kier) klingt hoffnungslos -vor allem in Bezug auf Strehlows Verhältnis zu Lea. DochStrehlow kann die Geige restaurieren, Block schenkt sie Lea und mitdem Spiel zieht etwas Wärme in das eingeschneite Gut. WennStrehlow jetzt breitbeinig im Matsch steht, klingt"Das Piano" aus der rauhen WeltNeuseelands herüber. Damals war die Kunst einer Taubstummen ineiner brutalen Umwelt verloren.
Das Verhältnis von Strehlow und seiner mittlerweile unterZwang angetrauten Lea bleibt ein dauernder, offener Kampf. Von ihrmit Güte, von ihm verbissen geführt. Doch die typischweiblichen Eigenschaften Nachgiebigkeit, Geduld, Sanftmut zähmenden Bären. Das brutale, gefühllose Männerpackerfährt in den Gedichten eine verständnisvolle Sanftheit."Mein Herr, der Bär" öffnet seine Vergangenheit: den Todder ersten Frau auf der Hochzeitsreise, die Flucht vor dem Schmerz indie Fremdenlegion: "In 20 Jahren Krieg ist dem brummigen Bär dasLachen vergangen." Und dann ereignet sich für kurze Zeit dasWunder des Glücks zwischen Lea und Strehlow.
Wortkarg, aber sehr ausdrucksstark ist "Lea" ein stiller undwunderbar stimmiger Film. Etwas Leises und Schönes, das soselten ins Kino kommt. "Lea" wirkt dunkel, schwer; die Kälte istkaum faßbar. Die außerordentliche Filmmusik von PetrHapka experimentiert mit Geräuschen eher als mit Klängen.Sie klirrt, zerschmeißt wie die protestierende Lea Geschirr."Lea" spielt sich in der Gegenwart ab, die Verhältnissekönnten aber auch mittelalterlich sein. Doch in derschnörkellos direkten Art, in den kunstfrei wirkenden, aber sehrintensiven Bildern liegt die enorme Stärke des Films. Er zeigtMenschen, deren Intensität einen in den Kinosessel drückenund nicht mehr loslassen.
Günter H. Jekubzik
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