In weiter Ferne, so nah!

BRD 1993, Regie und Buch: Wim Wenders, 143 Min.

Die vor sechs Jahren eher scherzhaft versprochene Fortsetzung beschert ein Wiedersehen mit den Figuren aus "Der Himmel über Berlin": Vor allem mit den sanften Engeln, die sich liebevoll um die Menschen kümmern. Sie versuchen ihnen Trost zuzusprechen, auch wenn sie aus ihrem schwarz-weißen Bereich die Gegenstände der bunten Welt nicht bewegen können. Wie einst Damiel (Bruno Ganz) wendet sich nun auch sein Engel-Gefährte Cassiel (Otto Sander) der Welt zu. Er wagt den Sprung allerdings nicht aus Liebe zur einer Frau, sondern zur Rettung eines Kinderlebens. Cassiel tritt in den Bereich der Farbe, wird sichtbar für die Menschen, spürt sein Gewicht, riecht, schmeckt und fühlt zum ersten Male. Glückselig kehrt er ein ins Restaurant "Casa del Angelo", zu Bruno Ganz und Solveig Dommartin, den zentralen Figuren aus "Der Himmel über Berlin". Doch sein Fall als Mensch Karl Engel geht weiter, schnell landet er in der Kneipe "Fegefeuer". Der Kirschsaftgenießer Karl folgt der (alkoholischen) Verführung des diabolisch wirkenden Emit Flesti (Willem Dafoe).

Wim Wenders zeigt ein vereinigtes, verändertes Berlin, geht mit einer liebevollen Hommage an den alten Heinz Rühmann in die deutsche Geschichte zurück und in vielen Variationen der Frage nach, was Zeit ist. Dabei hat auch die verkörperte Zeit selbst (= time itself, = Emit Flesti) eine Rolle im Film.Untätig und hilflos stehen die Engel auf dem Brandenburger Tor, dem Symbol der vereinheitlichenden Entwicklung. Bei den Menschen überwiegt der Glaube an die Welt, die Flut der Bilder verstellt den Menschen das Verständnis für Engelsstimmen: "Ihr glaubt uns in weiter Ferne und doch sind wir so nah!" Die Schund-Videos, Symbol für zu falsche Bilder verstaut Wenders in dem schmutzigen Bunker des Geschäftsmannes Tony Baker (Horst Buchholz), gleich neben dessen Waffen. Und Karl Engel zerstört diese "Saat der Gewalt" mit der zündenden Lunte eines alten Nitrofilms.Zu den acht weiteren Hauptdarstellern um Otto Sander gehört auch Lou Reed, dessen Live-Auftritt einen Höhepunkt der wiederum sehr interessanten Filmsongs darstellt. Peter Falk, ein vor langer Zeit gefallener Engel, nutzt in einer herrlich komisch Szene erneut seine Columbo-Rolle aus und Nastassja Kinski hat als Engel Raphaela eine wunderbare Szene mit Heinz Rühmann. In der Kiste von Puzzlestücken zum wender'schen Gesamtwerk setzt der nachdenkliche, um den Wert des Lebens ebenso wie dem der Bilder bedachte Regisseur vielen Menschen ein filmisches Denkmal. Dem alten Kameramann Henri Alekan gab Wenders die Rolle des Kapitäns, der das Schiff "Alekahn" lenkt.

Wenders gestaltet wunderbar poetische Begegnungen, sorgte sich um eine vielsprachig elegante, schöne Kamerabegleitung. Im Lauf der Zeit hat die Handlung allerdings einige Brüche zu überwinden, Sprünge in ungelenke Genremomente und mangelnde Plausibilität ebenso wie atmosphärisch nicht gelungene Übergänge. Für die vielen Fans des "Himmels" sicher ein Genuß, alle anderen müssen sich an der Grenze zwischen Poesie und Platitüde entscheiden.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

realisiert durch

Ein Service von

arena internet service

FILMtabs-Logo