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Halbzeit in Cannes 1999

Von Günter H. Jekubzik

Nach einer Woche Wettbewerb in Cannes ist vielen das Lachen vergangen: Das Verschwinden der Komödie ist beinahe noch bemerkenswerter als die große Anzahl nicht überzeugender Filme. Doch der furiose und lang bejubelte Auftakt zur zweiten Halbzeit mit Tim Robbins "Cradle will rock" läßt vermuten, daß Cannes sein restliches Programm mit Filmen von illustren Regisseuren wie Peter Greenaway, David Lynch, Oliver Parker, Ron Howard und John Sayles deutlich als Steigerung angelegt hat.

Bislang war Almodovars "Alles über Mutter" der große Favorit, an den nur Atom Egoyans "Felicia's Journey" herankam. Wie übrigens auch Steven Soderberghs englisch-amerikanische Krimihomage "The Limey" ist diese Geschichte eines jungen, schwangeren Mädchens aus Irland, das in die Fänge eines Serienmörders gerät, ein exzellentes Spiel mit Filmzitaten. Joey Hiditch erinnert als Erwachsener und als von der kochenden Mutter vollgestopfter Junge immer wieder an Hitchcock. Einzelne Szenen wie ein Glas mit vergifteter Milch beziehungsweise hier Kakao und ganze Handlungsstränge verweisen auf die Krimis des Thriller-Regisseur. Emotional erschüttert Egoyan hingegen nicht so wie zuletzt in "Das süße Jenseits". Bob Hoskins glänzt als Hiditch sowohl in den komischen wie in den tragischen Teilen.

Ein intellektuelles und emotionales Fest war hingegen das neue Meisterwerk von Regisseur und Schauspieler Tim Robbins: "Cradle will rock" läßt die Zeit der Depression im Amerika der Dreißiger aufleben. Von den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des New Deal profitieren auch die Künstler, überall entstehen neue Theatergruppen. Doch schon ist der Vorwurf "kommunistischer Infiltration" als erstes Signal zur Hexenjagd hörbar. Eine Truppe arbeitsloser Artisten kommt zusammen, um das Musical "Cradle will rock" unter der Regie von Orson Welles aufzuführen. Es handelt von der riesigen Kluft zwischen Reich und Arm, von Prostitution - auch in der Kunst - und vom Widerstand der Arbeiter. Kurz: Ein Stück mit Inhalt, sozialen und dramatischen Themen. Genau wie der Film von Tim Robbins, dem man gar nicht glauben will, daß er in den furchtbar anti-kommunistischen USA entstanden ist. Gleich ein ganzer Troß bester Schauspieler (Emily Watson, John Turturro, Venessa Redgrave, John Cusak) läßt miterleben, wie trotz aller Hindernisse das Musical im grandiosen Finale doch auf die Bühne kommt. Derart perfektes Kino für Herz und Verstand hat die neue Führungsposition in den Palmen-Tipps übernommen.

Auch an den Namen Jim Jarmush hingen sich viele Hoffnungen, doch sein "Ghost Dog" hat nichts mehr von früher originellen Geschichten um seltsame Menschen. Die reizvoll gestylte und musikalisch flott begleitete Story eines schwarzen Killers (Forest Whitaker), der sich für einen japanischen Samurai hält und sehr einfallsreich eine ebenso überkommene Mafia-Bande aus alten, fetten Italoamerikanern umlegt, kann nur schöner töten. Und auf solche vorgestrigen Genre-Mixes können wir gerne verzichten!

 


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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