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Absolute Giganten

BRD 1999, Regie: Sebastian Schipper, 90 Min.

Er ist absolut gigantisch: Vom fetten Auftakt im fetten Ford Granada bis zum sehnsuchtsvollen Abgesang einer Nacht unter Freunden begeistert "Absolute Giganten" als eine der, wenn nicht DIE Entdeckung des deutschen Films 1999. Dem jungen Hamburger Sebastian Schipper, der seinen Erstling am Freitag in Aachen vorstellte, gelang alles zu einem absolut sehenswerten Film, obwohl nach eigener Aussage die Voraussetzungen nicht optimal sind: "Keine Waffen, kein Planet muss in die Luft gesprengt werden, keine Bank wird überfallen." Es geht um drei einfache Jungs in Hamburg und bei ihrer Geschichte " sollten die ganz kleinen Sachen ganz groß werden."

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Floyd (Frank Giering aus "Der Opernball" und "Funny Games") erfährt vom Ende seiner Bewährungsstrafe und heuert sofort auf einem Containerschiff in Richtung große Freiheit an. Seine dicksten Freunde sind entsetzt. Richard, genannt Ricco (Florian Lukas aus "Der Eisbär" und "St.Pauli Nacht"), ein kleiner Rapper ohne Rhythmus, der immer gegen das Image eines Schwulen ankämpft. Und der fette Walter (Antoine Monot), der gutmütig wie ein großes Baby bei seiner italienischen Oma lebt. In Walters orangen 74er Ford Granada (mit schwarzem Vinyldach und australischem V8-Motor!) machen sie sich auf zu einer letzten gemeinsamen Nacht, zu einer Ehrenrunde für Verlierer, die sie schließlich zu absoluten Giganten macht.

Lange hatte man nicht mehr so viel Spaß im deutschen Kino, obwohl "Absolute Giganten" alles andere als eine deutsche Kinokomödie ist. Da vereint sich alles stimmig, lebendige Tempowechsel, eindrucksvolle Jungtalente, die sicher ihren Weg machen werden, stimmungsvolle Musik und eine Hamburger Szene mit reihenweisen Großkotzen, die nicht nur unsympathisch aber vor allem echt spannend sind. Auch was in der zweiten Reihe spielt, hat noch Persönlichkeit. Das Spiel wirkt lebensecht, was dem Autor und Regisseur schon früh beim Casting sehr wichtig war. Ganz nebenbei entdeckte Schipper Julia Hummer, die auch als 18-Jährige noch als Nymphe Telsa durchgeht.

Ein ganz besonderer Dank gilt Frank Griebe, dem "Kameramann von X-Filme". Wie einst Michael Ballhaus in "Die Farbe des Geldes" das Billardspiel aus der Höhe der Kugel zeigte, bringt Griebe dem Kicker nie gesehene Perspektiven bei und zaubert noch viele andere Bilder für die Ewigkeit. (Frank Griebe hat im Kopierwerk gelernt, eine wichtige Erfahrung für diesen Film. Mit Sebastian Schipper hat er lange probiert, das Material zwei Blenden "gepuscht", um das glatte, unangreifbare, perfekte Fotomaterial aufzubrechen.)

Drei mal alles - diese Bestellung bei einem Drive In-Burger könnte das Motto des Films sein. Volles Pfund bringt er in jeder Szene. Sei es die atemberaubende Tanznummer zu T-Rex' "Twentieth Century Boy" im Stile von "Waynes World", sei es ein dreifacher Hundekuchen-Anmachblick voll in die Kamera. Oder die fesselnden Wege der Nacht. Seit Scorseses "Taxi Driver" wurde selten noch so bedeutungsschwer durch Straßen gefahren. Der Showdown im Kickerspielen (gedoubelt von echten Europameistern) ist spannender aus die meisten Ballereien.

Der Ball ist rund, das Spiel dauert neunzig Minuten und die nächste Partie ist noch mal so gut. Die Anlehnung an "Lola rennt" ist erlaubt, denn auch "Absolute Giganten" stammt von der zur Zeit mutigsten Filmfabrik Deutschlands, von "X-Filme Creative Pool". Wer Sebastian Schipper im Publikumsgespräch erlebt, fragt sich nicht mehr, wie er die beiden Produzenten Tom Tykwer und Stefan Arndt von "X-Filme" überzeugen konnte.

Der Film wurde mit 2,5 Millionen Mark realisiert, das ist ein Mini-Etat mit vielen Überstunden. Die Vorbereitungen kosteten 2 Jahre, 7 Drehbuchfassungen und 32 Drehtage.

In einer Kleinstadt wurde er vom Theater begeistert, in einer "Verbannungszeit" ging es nach München an die Schauspielschule, wo er erstmals hinter die Kulissen des Films schaute. Eine kleine Rolle im "Englischen Patienten" brachte ihn mit der faszinierend professionellen Arbeitsweise Hollywoods zusammen. Über "Winterschläfer" und "Lola rennt" kam er zu Tom Tykwer.

Vom Dreh kann Sebastian Schipper endlos Anekdoten auffahren. Etwa von der "Oberverlierer-Boygroup", die doch noch eine superstarke Tanzszene mit Luftgitarrensolo hinlegte. Seine Begeisterung zu erzählen, macht neugierig auf weitere Filme. Wenn er seine Vorstellungen von Film ausführt, braucht man auch keine Angst zu haben, dass er mit diesen Jugenderinnerungen ("Ich wollte immer so sein wie Floyd, war wie Ricco und wollte immer so einen Freund haben wie Walter.") und mit der Nachtaufnahme seiner Traumstadt Hamburg sein Pulver verschossen hätte. Im nächsten Film - falls "Absolute Giganten" an der Kasse ankommt - möchte er "das Kino zu sich zwingen, eine Geschichte erzählen, die ich wirklich kenne, und nicht weiter die bekannten Geschichten des Kinos erzählen."


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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05.10.1999