Wiedersehen in Howards End

Regie James Ivory

Von Günter H. Jekubzik

"Wiedersehen in Howards End", das neue Meisterwerk des Produktions- und Regie-Gespanns Merchant/Ivory überzeugt durch erlesene Schönheit in Charakteren und Bildern. Obwohl eine kurze Affäre der Helen Schlegel mit Paul Wilcox für beide Familien peinlich ist, kreuzen sich die Wege anderer Angehöriger in den folgenden viktorianischen Jahren immer wieder. Dabei liegen Welten zwischen dem konservativen, snobistischen Wilcox-Clan und den Schlegels, Töchter einer Engländerin und "eines deutschen Idealisten". Trotzdem scheut sich Margaret Schlegel nicht, eine Verbindung mit der wohlhabenderen Mrs. Ruth Wilcox einzugehen.

Die kurze, herzliche Freundschaft hinterläßt der älteren Schlegelschwester das Landhaus 'Howards End'. Ängstliche Vorbehalte gegenüber 'dieser unmöglichen Familie' veranlaßt allerdings die Wilcox, den letzten Wunsch Ruths zu verschweigen.

Trotz der außergewöhnlichen Darstellerkünste von Anthony Hopkins, Vanessa Redgrave, Emma Thompson und Helena Bonham Carter ist das verträumte Anwesen 'Howards End' der eigentliche Hauptdarsteller. Die gleichnamige Romanvorlage von Edward Morgan Forster (1879-1970) faßte diese steingewordene Idee von Verständigung in die Worte "only connect" - wenn die entfremdeten Gesellschaftsgruppen nur miteinander in Kontakt treten, werden sich die Gegensätze schon ausgleichen. So münden alle dramatischen Entwicklungen im "Wiedersehen in Howards End" schließlich wieder am Ausgangspunkt.

Für den Indier Ismail Merchant und den Amerikaner James Ivory ist diese ruhige, intensive Zeit- und Menschenbetrachtung nach "Zimmer mit Aussicht" und "Maurice" bereits die dritte E.M.Forster-Verfilmung. Das Können dieses Teams, das von der deutschstämmigen Drehbuchautorin Ruth Prawer Jhabvala ergänzt wird, läßt typische Konflikte einer vergangenen Epoche in stimmigen Kostümen und Kulissen noch heute fesselnd wirken. ("Wiedersehen in Howards End" läuft ab Freitag im Gloria, Aachen)

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Der Engländer und seine Liebe zum Kontinent

E.M.Forster und seine Verfilmungen

"Wiedersehen in Howards End" von Merchant-Ivory

In HOWARDS END treffen sich die Blicke, Hände und Sehnsüchte der intellektuellen Helen Schlegel mit denen von Paul Wilcox, Sohn eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Wer jetzt eine wunderschöne Liebesgeschichte wie ZIMMER MIT AUSSICHT (Room with a view) erwartet, die nur durch die beiden Familien behindert wird, erlebt die gleiche Enttäuschung wie Helen: Die beiden Menschen passen wirklich nicht zusammen, die Erzählung nimmt eine andere Richtung und entfernt sich zunächst vom Landhaus Howards End in eine Londoner Stadtwohnung.

Denn es geht in HOWARDS END um Häuser und Menschen. Häuser allerdings nicht im Sinne von Wertobjekten, sondern als Heime, als Geburts- und Todesstätten. Sie sind Kommunikationsorte und Symbole für unterschiedliche Arten der Verständigung.Das ländliche Howards End war Geburtsort der alten Mrs. Wilcox und sollte nach deren Tod ihrer Freundin Margaret Schlegel vermacht werden. Doch die snobistischen, engstirnig selbst auf kleinste Standesunterschiede bedachten Wilcox verheimlichen diesen letzten Willen. So leben die von einem deutschen Idealismus befruchteten Schwestern Helen und Margaret Schlegel in ihrer vom Abriß bedrohten Wohnung weiter ein aufgeschlossenes, vorurteilsarmes Gesellschaftsleben und es wird etwas dauern bis sich die Verwicklungen zwischen den VertreterInnen verschiedener Geisteshaltungen zu neuen Höhepunkten aufschwingen.

Nach den großen Meisterwerken ZIMMER MIT AUSSICHT und MAURICE ist WIEDERSEHEN IN HOWARDS END der dritte Film nach einer Vorlage von E.M.Forster, den das Team Merchant-Ivory realisierte. Edward Morgan Forster (1879-1970) publizierte nur einige Romane, gehört aber zu den wichtigsten Romanciers des 20.Jahrhunderts. Die Lexika übergehen noch immer Forsters Homosexualität, deren Erfahrungen er in dem 1914 geschriebenen, aber erst 1971 posthum veröffentlichten MAURICE thematisierte. Forsters Literatur ist von liberal-humanistischen Ideen bestimmt und wurde in vielen Reisen - unter anderem Italien, Griechenland und Ägypten - bereichert. Nach einem Indienaufenthalt erschien 1924 sein letzter und populärster Roman A PASSAGE TO INDIA (Reise nach Indien; 1984 von David Lean verfilmt). Abgesehen von bekannteren Essays enthält Forsters Werk auch das Libretto (nach Herman "Moby Dick" Melville in Zusammenarbeit mit Eric Croizier ) zu der Benjamin Britten Oper BILLY BUD, die im Dezember in Köln aufgeführt wird. Neben den pointierten und gleichzeitig einfühlsamen Zeitbildern der Romane ist in den Kurzgeschichten ein weiterer Forster zu entdecken: THE MASCHINE STOPS zeigt zum Beispiel eine deprimierende Zukunftsvision, die prophetisch moderne Kommunikationstechnik und die daraus resultierende Isolation des Menschen voraussieht.

Doch weshalb wurden so viele Romane von Forster verfilmt und weswegen faszinieren die Themen, fast ein Jahrhundert nach ihrer Zeit, noch immer ein großes Kinopublikum? Auch ENGEL UND NARREN (Where angels fear to tread; Regie: Charles Sturridge, mittlerweile als Video erhältlich), die Verfilmung seines ersten, 1905 veröffentlichten Romans stellt die "Forster-Elemente" heraus: Die Engländerinnen und ihre Liebe zum Kontinent - hier ist es wieder Italien. Der britische Snobismus des Familienclans wird brüskiert durch Lilias (Helen Mirren) Heirat mit einem gutaussehenden, jungen Italiener. Erst nach der Katastrophe, dem Tode Lilias, muß - quasi als Hinterlassenschaft - die Verständigung zwischen den Kulturen erneut gewonnen werden.Die bekannte Konstellation wird natürlich durch die negative Konspirationen der engstirnigen Familienmitglieder erschwert. Als Element der Kino-Rezeption Forsters ist auch die Darstellerin Helena Bonham Carter (ZIMMER MIT AUSSICHT, ENGEL UND NARREN, HOWARDS END) wieder dabei. Ihr blaßes, ängstlich schüchternes Gesicht, das verlegene Falten der Stirn, aber auch ein herrlich trotziger Blick, verkörpern ideal den für die zentralen Forsterfiguren so wichtigen Kampf zwischen äußerer Fassung und inneren, kaum zu unterdrückenden Gefühlswallungen.

Die bewegensten Momente der allesamt sehr schön und warm fotografierten Forster-Filme erscheinen mir die der Verständigung. Die Sehnsucht nach Austausch über alle sozialen und nationalen Schranken hinweg, kommt unabhängig von den jeweiligen Formen der trennenden Vorbehalte bei einer breiten Publikumsschicht an. Verständigung liegt auch den Verantwortlichen für ZIMMER MIT AUSSICHT, MAURICE und HOWARDS END im Blut: Der seit dreißig Jahren Gutes verheißende Name "Merchant Ivory Productions" verweist auf ein Team aus dem indischen Produzenten Ismail Merchant und dem amerikanischen Regisseur James Ivory. Die in Deutschland geborene und von den Nazis vertriebene Ruth Prawer Jhabvala fungiert dabei meist als Drehbuchautorin.

Mit HOWARDS END gelang ihnen wieder ein intensiver, ruhiger Film, der über zwei Stunden durch eine einfühlsame, genaue Figurenzeichnung fasziniert. Die soziale Spannweite vom reichen Bürger Wilcox bis zu dem hungerleidenden Arbeitslosen Leonard Bast wird von erlesenen Schauspielern wie Anthony Hopkins, Emma Thompson und Vanessa Redgrave interpretiert. Die perfekte Illusion von Historizität ist dabei nur von stilistisch ungewöhnlichen, deutlichen Schnitten mit Schwarzblenden mitten in einigen Szenen unterbrochen, die wie vieles andere, lange weiterwirken nach HOWARDS END.

Harry van Leuken


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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