Ultranova

Frankreich/Belgien 2004 (Ultranova) Regie + Buch: Bouli Lanners mit Vincent Lecuyer, Hélène de Reymaeker, Marie du Bled, Michaël Abiteboul, Vincent Berlogey, Viviane Robert, Ingrid Heiderscheidt, Serge Larivière 86 Min.

Mit einem Knall wendet sich der Film "Ultranova" um Dimitri (Vincent Lecuyer), den stillen Angestellten einer Immobilienfirma. Das Auto liegt auf dem Dach, die Welt steht Kopf und der junge Mann sucht nach Orientierung. Das Vertraute, das Alltägliche, das zur Langeweile gewordene Gewöhnliche in einem neuen Licht zu zeigen, das ist eine der Qualitäten von "Ultranova", der oft skurrilen Geschichte des Belgiers Bouli Lanners.

Der Knall steht zentral und am Anfang sowie am Ende. Es ist ein Airbag, der völlig ohne Grund explodiert. Eine Nebenfigur meint dazu: Ein Zeichen! Dafür, dass man auf einem falschen Weg war. Dimitris Wege sind unspektakulär. Mit zwei Kollegen verkauft er Häuser auf der grünen Wiese, die in dieser Gegend oft als brauner, matschiger Acker erscheint. Der dürre, mürrische Verbrugghe (Vincent Berlogey) mit seinem Schnauzer macht sich mit seiner misogynen Dauerfresse unbeliebt. Der rundlichere Phil (Michaël Abiteboul) fängt die Spannungen mit Augenzwinkern auf und erfreut sich an den Kleinigkeiten des Lebens, etwas der Kellnerin in der Stammkneipe, die ganz sicher schwanger sei. Dann gibt es die beiden Mädchen einer Möbelhandlung, die sich für Dimitri interessieren. Das Mäuschen Jeanne (Marie du Bled) scheint ihn zu kennen und beglückt mit naiven Weisheiten, die sie aber nicht vor der eigenen Traurigkeit bewahren. Cathy (Hélène de Reymaeker) wird später Dimitris Freundin werden.

Alle diese Figuren haben ihre Geschichte und verändern sich vor unseren Augen. Eine große Sorgfalt wird den so genannten Randfiguren zuteil. Eigentlich beiläufige Szenen erweisen sich als Schlüssel zu komplexen Persönlichkeiten, das anscheinend Flache zeigt sich als märchen- oder traumhaft. Kamera und Musik (Jarby McCoy) verstärken diesen Effekt.

Wie auch bei den Brüdern Dardenne aus Lüttich, die schon zweimal die Goldene Palme gewannen ("Rosetta" und "L'enfant"), spielt auch in "Ultranova" von Bouli Lanners die Tristesse der Wallonie und ihrer Menschen eine Hauptrolle. Doch Tristesse ist eigentlich ein zu schönes Wort für die Trostlosigkeit zwischen Halden, Maaskanälen und öden Brachen. Es wäre gemein zu sagen, die Menschen haben sich ihrer Umgebung angepasst, deshalb leihen wir uns die Worte des Regisseurs Bouli Lanners: Er sieht seine Figuren wie ferne Himmelskörper, die einsam ihrer Bahnen ziehen. Deshalb auch die Titelkreation "Ultranova" in Anlehnung an den Sternentod mit einem Knall. Es kann immer mal passieren, dass der Druck von eingeschlossenem Schmerz und Hoffnungslosigkeit zu hoch wird. Dann explodiert etwa ein griesgrämiger und besonders aggressiver Kollege. Und irgendwann explodiert ohne Grund der Airbag im Auto.

Nach dem Preis der CICAE bei der Berlinale 2005 erhielt "Ultranova" im Dezember gleich den Preis der Internationalen Jury und den des Kritikerverbandes FIPRESCI beim "43.Festival Internacional de Cine Gijon", nach San Sebastian zu den wichtigsten Filmevents Spaniens.

Der Lütticher Regisseur Bouli Lanners (geb. 20. Mai 1965) trat bislang vor allem als Schauspieler in vielen wallonischen Filmen auf (u.a. "Les convoyeurs attendent", "Toto le héros" und "Pauline et Paulette"). Zurzeit hat der enorm talentierte Lanners einen Film in Postproduktion und einen weiteren in Vorbereitung.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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