Kafka-Filme

Kafka im Kino

Von Harry van Leuken

Kafkastoffe sind eine Prüfung für die Literaturverfilmer: Was läßt sich übertragen? Handlungen oder Dialoge buchstabengetreu und mit dem Musterkatalog des Ausstatters im Hinterkopf, Kapitel 'Prag der Zehner Jahre'? Oder statt einer vielbeschworenen Gassenstimmung der Prager Altstadt vielleicht etwas 'Kafkaeskes', was immer das sein mag? Und dann gehört natürlich die Figur Kafka selbst dazu, dieses scheinbare Muster des hypersensiblen, leidenden Dichters, das sich immer so leicht in den abstrakten Namen K verkürzen läßt. K wie Josef K in ,,Der Prozeß", K wie der Landvermesser K, der ,,Das Schloß" nicht erreicht, aber auch K(arl Roßmann) in ,,Amerika".

Obwohl die Rezeption Kafkas nachhaltig unter dem Nationalsozialismus gelitten hat - erst in den Fünfzigern wurde Kafka zum Beispiel in Deutschland wiederentdeckt - kam es in Folge der wachsenden Begeisterung für sein Werk zu einer Reihe von Verfilmungen. Die bekanntesten Namen verbinden sich mit den unvollendeten und nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Romanen ,,Amerika" (je nachdem wie die Herausgeber Kafkas Absichten interpretieren, auch ,,Der Verschollene" genannt), ,,Der Prozeß" und ,,Das Schloß".

Vor dreißig Jahren plazierte Orson Welles mit ,,Der Prozeß" (The Trial) seinen Meilenstein auch im Bereich der Kafka-Verfilmungen. Der katholische film-dienst warnte damals: ,,Ein interessantes, jedoch nicht leicht zu entschlüsselndes Werk, das sich an reife Erwachsene richtet." Abgesehen von einigen Nachwehen der christlichen Auslegungen Kafkascher Texte, die im Josef K von 1963 einen ,,isolierten, seelenlosen Menschen" sahen, der zeigt, ,,wie sehr in unserer säkularisierten Zeit das Schuldbewußtsein verflacht", gelten die damaligen Beobachtungen noch heute: Eine überwältigende, sinnvoll eingesetzte ,,Anthologie der bis zur formalen Elephantasiasis ausgeweiteten filmischen Möglichkeiten." Das geniale Allround-Talent Welles gestaltete faszinierende Architekturen und Licht-Räume von der kleinen Prügelkammer bis zum unübersehbaren Großraumbüro. Selbst die Außenszenen erwecken den Eindruck, Welles hätte landschaftsgestaltend Gott gespielt. Denn der Film ,,Prozeß" funktioniert hauptsächlich über seine Räume, durch die Anthony Perkins mit gleichbleibender Mimik stolpert. Welles läßt ihn hinter Titorellis zweiter Tür überraschend die Gerichtsräume finden, jagd ihn durch die Kanalisation (die Welles als ,,Der dritte Mann" kennenlernte) und verbindet so das Gerichtsgebäude mit dem Kirchplatz. Auch K's Kleidung läßt keine Entwicklung erkennen: K wird durch die Polizisten geweckt, zieht sich Hemd und Anzug an. Als er Jacke und Hemd endgültig auszieht, folgt sein Tod sofort.Gegen eine Konvention des Films, der auf Identifikation mit dem Helden baut, inszenierte Welles im Schwarz-Weiß die expressionistische Dramatik der Räume, unter anderem mit einem Panoptikum einengender Gitterstrukturen.

Nur fünf Jahre später führte der Theaterregisseur Rudolf Noeltein filmische Trostlosigkeit. ,,Das Schloß" leistete nicht mehr als die Nacherzählung einer geglätteten Story. Josef K (Maximilian Schell) leidete sich durch eine karge, winterliche Dorfkulisse, Helmut Qualtinger hatte eine nette Szene, aber insgesamt ist ,,Das Schloß" so bewegend wie ein ungelesen in den Schrank gestelltes Meisterwerk. Die Ehrfurcht vor großer Literatur führte so zu einer der vielen seelenlosen Abbildungen eines Handlungsgerippes, die leblos langweilen. Alle Elemente des Romans, die sich nicht in eindeutige Bilder fassen ließen, fielen dabei heraus.

Unerträgliche Langeweile wird auch den Filmen von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet nachgesagt. Dabei verbinden die beiden französischen FilmemacherInnen ihre äußerst eigenwillige Interpretation der Texte mit einer exakten Stilvorstellung. Ein Anspruch, der den meisten filmischen Produkten abgeht.Die ,,Klassenverhältnisse" (nach ,,Amerika") von Straub/Huillet sträuben sich schon im Konzept gegen herkömmliche Kinosichtweisen: ,,Wir wollten auf keinen Fall, was der Kafka beschreibt, illustrieren oder optisch zeigen. Also alles, was optische Beschreibung ist, ein häßliches Wort, darauf wollte ich von vornherein verzichten. Weil ich glaube, daß der Film, also das Kino nicht dazu da ist, um Sachen optisch zu zeigen." (Straub) Die aus Frankreich stammenden Filmemacher setzten bei ihrer ,,Prüfung" des Textes ,,Amerika" in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft vor allem akustische Akzente. In wochenlangen Proben wurde mit den Darstellern \ größtenteils Laien \ eine minutiöse Textpartitur erarbeitet, die Kafkas Sätze mit Zeilensprüngen und scheinbar ,,geleierter" Betonung durchbricht. Obwohl die Bilder der ,,Klassenverhältnisse" spröde wirken, darf nicht übersehen werden, daß bei ihrem Aufbau die gleiche Detailgenauigkeit angewendet wurde.

Im vergangenen Jahr ging Steven Soderbergh (,,Sex, Lügen und Video") seinen Sonderweg, indem er ,,Kafka" als Mischung aus Literaturfragmenten, biographischen Anekdoten, Prager Kulisse und einer spannenden, eigenständigen Handlung inszenierte. Soderberghs Kafka ist Angestellter einer großen Versicherungsgesellschaft, auch er schreibt abends vor dem Fenster. Allerdings stammt die Geheimorganisation im Schloß, die das menschliche Wesen über eine riesige Maschine zu ergründen sucht, eher von Fritz Langs Dr. Mabuse als von Franz Kafka, obwohl die Narben auf den Köpfen der Opfer durchaus an die Inschrift der Foltermaschine ,,In der Strafkolonie" erinnern. Die filmischen Zitate spannen sich von Murnau bis zu ,,Brazil", der Stil fesselt mit einem expressiven Schwarz-Weiß. Soderbergh löste sich von dem Anspruch einer Werkinterpretation oder einer beglaubigten Biographie zu entsprechen und formte stattdessen kohärente, schlüssige Unterhaltung.

Am 13.Mai wird nun ,,Der Prozeß" wiederaufgenommen. ,,Eine neue, moderne Verfilmung von Kafkas Meisterwerk" verspricht der Verleiher. Dabei fällt ,,Der Prozeß" von David Jones in Zeiten weit vor Orson Welles zurück.Bereits die Szenen des Vorspanns, die auf alt getrimmten, hellen Straßen Prags lassen eine anheimelnd brave Literaturverfilmung befürchten und der erste Blick in K's Zimmer bestätigt die Mühen der Kostüm- und Möbelabteilung. Am Rande sind die kläglichen Versuche, Lebensumgebung Kafkas mit K zu verschmelzen, zu sehen: Ein kleiner Sekretär weist K als Literaten, vielleicht als Schreiber aus, immerhin eine der wenigen Stellungnahmen dieses Films, die über reine Bebilderung des Textes hinausgeht. Fraglich bleibt, ob der erfahrene Regisseur von Theateraufzeichnungen Jones und sein Drehbuchautor Harold Pinter ihre Ideen aus Kafka-Studien gewannen oder von Welles übernahmen \ die Ähnlichkeit ist jedenfalls frappant und ein Vergleich fällt für den angeblich modernen Nachfolger sehr schlecht aus. Die Szene in der Prügelkammer ist auf gleiche Art ausgeleuchtet. Obwohl er Kafkas Frisur ganz gut tragen kann, weckt Kyle MacLachlan als Josef K nur wehmütige Erinnerungen an seinen Special Agent Dale Cooper aus ,,Twin Peaks" und die Darstellerin der Leni (Polly Walker, ENCHANTED APRIL) ist ein leibhaftiges Romy Schneider-Imitat. Allein Anthony Hopkins kurzgeschorener Charakterkopf in der Rolle des Gefängnis-Geistlichen gräbt sich in die Erinnerung.

Vor allem nach dem Scheitern dieses, mit aller Gewalt in einen realistischen Bereich überführten Prozesses, läßt sich wieder überdenken, was Film überhaupt von Kafkas Texten übernehmen kann. Wie ließe sich deren Stil der detailgenauen und minutiösen Aufhebung jeder Sicherheit filmisch wiedergeben? Für jene komplexen Folgen von 'Es ist', 'wenn nicht', 'aber', 'jedoch', die im (Satz-) Bau mit einfachen, konkreten Worten in der Aufhebung jeder Bestimmtheit enden, hat der Film \ zumindest in seinem dem Realismus verhafteten Mainstream \ doch nur ein banales 'Es ist'. Erst wo er sich dem Bereich des Phantastischen und des Traumes nähert, tauchen Ähnlichkeiten zu Kafka auf. Die mit ihrem Aufzeichnungsgerät verkabelte Sekretärin aus Kafkas ,,Amerika" sitzt im Vorzimmer der Folterkammer aus Terry Gilliams ,,Brazil", dessen totalitäre Bürokratie eine moderne Fortsetzung der von Kafka beschriebenen Verwaltungswelt ist. Auch andere Filme leben von absurden Situationen, die vielleicht dem Begriff ,,kafkaesk" nahe kommen: Etwa die ,,Zeit nach Mitternacht" (After Hours), in der Paul (Griffin Dunne) vollkommen schuldlos mit einer Reihe unglaublicher Ereignisse und Menschen konfrontiert wird, die \ als ob sie einer geheimen Verschwörung angehörten \ alles tun, um ihn an der Heimkehr zu hindern. Scorsese Türhüter \ nicht 'Vor dem Gesetz' aber vor der Discothek \ spricht die Worte von Kafkas Türhüter in der Prozeß-Parabel. Auch mehreren Leuten, unter ihnen der legendäre Produzent Michael Powell, fiel während bei der Sichtung der ersten Version von ,,Die Zeit nach Mitternacht" das Stichwort Kafka ein. In diesem Sinne landete Griffin Dunne in der endgültigen Fassung am Morgen wieder vor seinem Büro. Wie Jeremy Irons in ,,Kafka" wird er am Ende des Films an seinen Arbeitsplatz zurückkehren, wo trotz der haarsträubenden Ereignisse alles unverändert ist.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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