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Angst-Kino

Von Günter H. Jekubzik

Ins Kino gegangen, Angst gehabt. Ganz so hatte es Kafka nicht in sein Tagebuch notiert, aber ein heutiger Chronist des Kinos muss ein "Kino der Angst" feststellen. Weshalb wollen wir uns gruseln, fürchten und erschrecken? Dafür sogar noch Eintritt zahlen?

Angst kommt etymologisch von Enge, und wie schön sich enge, abgeschlossene Räume für Hochspannung eignen, zeigte Jodie Foster gerade erst mit "Flightplan" und noch beengter im "Panic Room": Im Flieger mitten über dem Atlantik verschwindet die Tochter. Wo kann sie bloß sein und wie kann das überhaupt sein? Der "Panic Room" einer Luxuswohnung sollte (wieder) Mutter und Tochter bei einem Einbruch oder Überfall schützen. Regisseur David Fincher ("Se7en") erzeugte mit einem Spiel von Drinnen und Draußen gekonnt Hochspannung: Ein klar abgeschlossener Raum und trotzdem viele, meist böse Überraschungen.

Doch dies waren seltene Höhepunkte im Angst-Kino der letzten Jahre. Meist wird das gleiche Prinzip erschreckend platt ausgeweidet: Brachial füllten "Saw" und der ganz aktuelle Nachfolger "Saw 2" diese Situation mit viel Gewalt und Blut an. Gezwungen in ein dreckiges Verlies und sadistische Mechaniken, müssen die Opfer sich oder anderen grausamste Dinge zufügen.

Muss man also Angst haben um das "Kino der Angst", wie der populäre Filmanalyst Georg Seeßlen seine Analyse aus dem Jahre 1980 nannte? Man muss sich wohl eher sorgen um die Produzenten, die grob auf simpelste Affekte setzen und vor lauter kurzsichtiger Profitsucht vergessen, einen anständigen Film um den Schrecken herum zu bauen. Doch - auch das erzählt Seeßlen - das Kino kommt vom Jahrmarkt, war zuerst dort eine Attraktion. Es ging schon immer darum, emotional kräftig durchgeschüttelt zu werden. Vor Lachen oder schaudernd.

Jugendliche Angsthasen
Zahllose Filmtitel bemühen schon die Angst im Titel, mal ganz lebensnah soziologisch Fassbinders "Angst essen Seele auf", mal in hochstilisierten Ausnahmesituationen, wie beim Psychopathen (DeNiro),  der eine Familie entführt in "Cap Fear". Wir drängeln uns gerade, um dem (langweiligen?) Alltag zu fliehen und in der Sicherheit des "Holodecks" Kino bedrohliche Situationen erleben und meistern zu können. Denn es ist ja nicht die Angst um den Arbeitsplatz, für die man Eintritt zahlt! Es sind die Ur-Ängste vor dunklen Räumen, Kellern, Spinnen ...

So ist zu erklären, dass Ende der Siebziger, als das Kino von damals jungen Rebellen wie Spielberg, Lucas, Coppola generell auf den Kopf gestellt wurde, ein Genre, dass sich mit billigen Filmchen in Nischen des Kinos aufhielt, seinen Siegeszug antrat. Mit Carpenters "Halloween" begann die anhaltende und immer noch unverdiente Popularität des Teenie-Horrors. Sozialogisch eine sehr konservative Gegenreformation all der Freiheiten des letzten Jahrzehnts: Freier Sex - Bauch aufschlitzen! Marihuana rauchen - Kopf ab! Rebellische Gedanken - aufspießen! Damit wir alle schön Angst vor allem haben und so brav und kontrollierbar bleiben.

Um zu verstehen, wie diese Horror-Filmchen mit ihren billigen, groben Schockmomenten immer noch funktionieren, muss man die Reaktionen im Kino erleben. Es wird mehr gelacht als geschauert. Der Instant-Affekt von Schrecken und Erlösung, das aufgeregte Schreien in der Achterbahn und das erleichterte Lachen danach.

Angst, Furcht, Schrecken, Thrill
Was passiert da bloß? Die Katharsis mit "Schrecken" und "Furcht" des guten alten Dramaturgen Lessing? Wohl kaum: Zum einen verstand man vor 250 Jahren diese Begriffe ganz anders und vor allem kommen aus den Teenie-Horrorfilmen sicherlich keine gebesserten Menschen heraus. "Das Schrecken in der Tragödie ist weiter nichts als die plötzliche Überraschung des Mitleides, ich mag den Gegenstand meines Mitleids kennen oder nicht. ... dieses überraschte Mitleid heißt Schrecken", meinte Lessing im Briefwechsel mit Nicolai. Es kann nicht mehr um's Mitfühlen gehen, wenn schematisch konstruierte Figuren der Reihe nach abgeschlachtet werden.

Früher war nicht alles besser, aber es gab eindeutig Besseres: Nehmen wir "Frankensteins Braut", im Jahr 1935 von James Whale gedreht. Heute schwer vorstellbar, dass dies als schauerlicher Film empfunden wurde, der Angst machte. Aber es ist immer noch ein Film von einer leidenden Kreatur, vom geschändeten Außenseiter, von einem Menschen - wenn auch einem zusammengebastelten. Das besteht. Die Angst, der Schrecken zieht als Mittel an. Sowieso kommt kaum ein dramatischer Film ohne Thriller-Elemente aus: Action-Thriller, Erotik-Thriller, Psycho-Thriller. Die Engländer sind mit diesem Begriff genauer, der "thrill" dreht sich eher um den Nervenkitzel, den man im Kino verspüren will.

Nackte Angst
Bei diesem Thema darf einer nicht fehlen, immer zitiert, aber auf diesem Gebiet halt der Meister: Hitchcock! Er erklärte in den Interviews mit Francois Truffaut ("Mr. Hitchcock ...") die dramatischen Wirkungsweisen von tickenden Zeitbomben, die wir unter dem Tisch versteckt wissen, von den psychologischen Effekten und Tricks. Und auch die handwerklichen Raffinessen. Meist übersehen und doch gefühlt werden nämlich die direkten physiologischen Affekte in Bild und Ton: Ein unruhiges Flackern des Lichts, wenn die Kamera einen Lattenzaun entlang fährt, die schaukelnde Glühbirne in "Psycho" versetzen unsere Körper ebenso in einen gespannten Zustand erhöhter Aufmerksamkeit wie eine komplex aufgebaute Handlungssituation. Ein ganz tiefes Brummen des Tones unter der Hörbarkeitsgrenze erzeugt ein kollektives Panik- und Aggressions-Gefühl.

Doch heutzutage pickt man sich geradezu "pornografisch" die einzelnen Angst-Elemente heraus, um sie nackt und entblößt von allem anderen zu benutzen. Eine bloße Aneinanderreihung von Schreckmomenten gilt als "sensationeller Horrorfilm". In diesem Sinne haben sich auch die "Rides" verselbständigt: Rasante adrenalingeladene Fahrten, bei denen es einem im Sitz schüttelt, wurden von jeder Handlung losgelöst und sind nur noch heftigste Bewegung. In speziell hierfür entwickelten Kinos sorgen hydraulisch bewegte Stuhlreihen dafür, dass es einen auch wirklich in den Sitzen schüttelt - für empfindliche, ältere Menschen oder Herzkranke nicht zu empfehlen.

Auch "Open Water" gab sich nicht die Mühe, eine diffizile, realitätsnahe Handlung zu entwickeln. Man nahm ganz banal eine völlig aussichtslose Situation, bei der allein die Vorstellung den Magen umdreht - hilflos mitten im Meer treiben und von Haien umringt sein - und streckt diese Urangst ohne weitere intellektuelle, psychologische oder künstlerische Mühen über 90 Minuten. Zum Glück ging der Film unter. Bei all der Angst ohne und um gutes Kino gibt es noch Hoffnung.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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