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Tieta do Brasil

Brasilien 1996 (Tieta do Brasil) Regie: Carlos Diegues, 115 Min.

Die Rückkehr der reizenden Dame

Von Günter H. Jekubzik

Tieta kehrt mit einem knallroten Sportcoupe in ihr Dorf zurück (Link: Antonia). Sant'Ana do Agreste ist zwar als letztes Kaff nicht ans brasilianische Stromnetz angeschlossen, es hat aber sonst alles, was es zum Glück braucht: Seine Menschen sind zänkisch, geldgierig und voller Neid. So darauf versessen, den anderen keinen Spaß zu gönnen, daß sie selber jeden verlieren. Als herausragende Bürger in diesem Sinne erweisen sich Tietas Verwandte: Sobald die regelmäßigen Schecks Tietas aus der Provinzhauptstadt ausblieben, konnte ein Mäntlein der Trauer kaum die helle Vorfreude auf reiches Erbe bedecken.

Doch Tieta (Sonja Braga) taucht quicklebendig auf, ihr reicher Mann sei plötzlich verstorben. Ein paar hervorgedrückte Tränchen benetzen den lüsternen Blick: Was ist bei dieser reichen Frau zu holen? Und vor allem: Hat sie vergessen, was wir ihr angetan haben? In monochrom gehaltenen Rückblenden erlebt Tieta die Schläge des Vaters und den Rauswurf: Die Schwester Perpétua (Marilia Pera) verpetzte Tietas erstes Schäferstündchen (beim Ziegenhüten) an den Vater. Der treibt es zwar mit den eigenen Ziegen, kehrt aber trotzdem voller Wut den moralischen Patriarchen heraus.

Nur kehrt Tieta mit der jungen Stieftochter Leonora (Claudia Abreu) zurück. Allein ihre Ankunft belebt die Gegend, überall werden kleine Geschäfte gemacht. Die wahre Quelle ihres Reichtums bleibt noch eine Weile verborgen. Als die bejubelte Schutzheilige des kleinen Dorfes sich jedoch als Puffmutter herausstellt, schlägt die kleingeistige Moral wieder zu. Eine tragische Geschichte eigentlich. Aber brasilianische Rhythmen, pralle, farbenfrohe Bilder und fantastische Strände überspielen die deutlichen Zeichen: Der farbenfrohe Geschenkeregen vom Hubschrauber einer "Entwicklungs-Gesellschaft" (so lautet wohl der höhnische Name für Ausbeutung) hinterläßt schnell Streit und Chaos. Dem Reichtum folgt zweifach der umgehende Tod.

Der junge Kandidat für das Bürgermeisteramt, liebevoll "Drachentöter" genannt, schwärmt nicht nur für die stille Leonora, gleichzeitig betreibt er auch naiv die Ansiedlung einer besonders umweltschädigenden Fabrik in dem vergessenen Paradies. Im Hintergrund erfährt die Frage "Wie wir in Zukunft in Brasilien leben sollen" viele Versuche einer Antwort. Man sollte sich nicht von der Leichtigkeit der Geschichte täuschen lassen.

Selbst die extrem religiös-verhärmte Schwester Perpétua - Frisur wie ein Stinktier und auch ihr Charakter riecht ähnlich - treibt Geschäfte mit Gott. Um einen Mann abzubekommen, versprach sie, den ersten Sohn der Kirche als Priester zu schenken. So steckt nun der atemberaubend gut gebaute Carmo in der Kutte. Dabei würde Tante Tieta zu gerne das darunter sehen! Religion steht hier nicht nur einmal der Lust im Wege, doch die Antwort Tietas lautet: Das geht Gott nichts an!

"Tieta do Brasil" ist eine brasilianische, eine Liebesgeschichte und eine ähnlich lustvolle Geschichte wie "Bittersüße Schokolade", in der die Leidenschaften auch ganz natürlich die Hauptrolle spielten. Der zugrundeliegende Roman stammt vom beliebten brasilianischen Autor Jorge Amado, der seinen Text im Film selbst vorliest. Europäer denken vielleicht schnell an "Der Besuch der alten Dame". Es ist nicht das erste Mal, daß Dürrenmatts Stoff in ganz anderen Breiten auftaucht: Djibril Diop Mambéty inszenierte die "Hyänen" 1991 in Afrika. Scheinbar eine Geschichte typisch für wirtschaftliche Brüche in einem Land. Wirtschaftswunderzeiten ermöglichen es, in "die große Welt" zu ziehen, um reich und rachsüchtig wiederzukehren. Doch der Wunsch nach Rache fehlt Tieta. Ihre Heimkehr ist heilsam für alle - nur sie selbst zieht weiter.

Das Spiel des brasilianischen und internationalen Stars Sonja Braga bietet pralles Vergnügen: Ihre Tieta wechselt mit fast jeder Szene Frisur und Haarfarbe. Das Dekolleté verabschiedet sich schnell von seiner verhüllenden Funktion. Braga ist nicht nur die reife, starke Frau im Film, das ganze Projekt geht auf die Initiative der 46-jährigen zurück. Sie erhielt die Filmrechte von Autor Jorge Amado und wählte den Regisseur Carlos Diegues aus. Auch Braga verbrachte eine lange Zeit von der Heimat entfernt, sie arbeitete zwölf Jahre in den USA - zum Teil an der Seite Robert Redfords -, drehte unter anderem "Der Kuß der Spinnenfrau" (1985), "Mond über Parador" (1988) und "Milagro, der Krieg im Bohnenfeld" (1988).

Weitere Facetten Brasiliens zeigte übrigens das 27. Internationale Forum im Februar '97 in Berlin. Die wieder auflebende nationale Filmindustrie bringt in einem breiten Spektrum soziales Elend ("Wie Engel geboren werden", "Ein Himmel voller Sterne"), Poesie ("Der Sertao der Erinnerungen"), die Spannungen und die Historien ("Carlota Joaquina, Prinzessin von Brasilien") einer wirklichen Multikulti-Gesellschaft deutlicher ins Bild.


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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