"Viele Jahr bleiben einem nicht mehr"

Interview mit Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff

Locarno. Er gehört international zu den renommiertesten Regisseuren unserer Zeit. Er erhielt für "Die Blechtrommel" die Goldene Palme von Cannes und einen Oscar. Und trotz allen Erfolgen und Auszeichnungen ist es für Volker Schlöndorff "sauschwer" seine Projekte zu realisieren. Anlässlich seines neuen, bewegenden Films "Der neunte Tag" sprach Günter H. Jekubzik beim 57. Internationalen Filmfestival von Locarno mit dem Regisseur.

Nach der beeindruckenden Vorführung auf der Piazza Grande mit der größten Open Air-Leinwand Europas gab es Applaus und nachdenkliches Schweigen zu der Geschichte eines Priesters, der für neun Tage "Urlaub" aus dem KZ erhält, um von einem Gestapo-Emporkömmling versucht zu werden, gegen die katholische Kirche Wort zu ergreifen.

Zur Begrüßung beim Interview in einem paradieshaften Hotel in Ascona gibt es eine höfliche Klage: Die deutsche Kritik sei immer "Bedenkenträger", meint der 1939 in Wiesbaden geborene Regisseur. Im Gegensatz zu anderen Journalisten, die erst einmal Positives äußern, entrüstet sich der deutsche Kollege im Allgemeinen: "Nun sagen sie mal ...!"

"Der muss aus der Hölle kommen ..."
So beugt Schlöndorff auch etwaigen Vorwürfen vor, "Der neunte Tag" sei schon wieder Vergangenheitsbewältigung zur Nazizeit: "Ich will, das man es als ein Drama sieht."

Obwohl die ersten zehn Minuten des Films, die Szenen im KZ, auch eine Herausforderung für ihn waren: "Da hab ich mich mein Leben drum gedrückt, aber jetzt hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, das kann man ja machen." Dabei war die Realisierung durchaus eine Gratwanderung zwischen den Klischees. Denn, so erzählt Schlöndorff, die Dokumentarbilder die es von den Konzentrationslagern gibt, stammen alle vom Ende der Lager. Dabei geht aus allen Berichten hervor, "das Grauenhafte war die Ordnung des Alltags. Egal wie viel Tote es gab, abends um neun ging pünktlich das Licht aus. Das gibt es in den Dokumentarbildern nicht so." Dazu müsse man andere Bilder erfinden.

Fragt man nach dem "Wie?", erspürt man die sorgfältige Arbeitsweise des unprätentiösen Oscarpreisträgers: "Die Auseinandersetzung zwischen dem Priester Kremer und dem Gestapo-Mann Gebhard kann man proben. Das ist ein Kampf über sieben Runden, zum Schluss geht der Mächtige zu Boden, der Schwache siegt." Doch die erschütternde Wirkung der ersten KZ-Bilder und des ausgemergelten Gesichts von Ulrich Matthes in der Rolle des Priesters muss anders entstehen. Da hängt es daran, "wie präzise es drumherum ist", die Baracken und die Einrichtung, "das Gräuel in der Ordnung". Sehr sorgfältig arbeitete man an den Details, etwas beim Aufrichten von einem Kreuz. "Wie gelingt es so schmächtigen Gestalten das Kreuz hoch zu hieven?"

"Man muss den Horror nicht direkt zeigen, sondern ihn übertragen!" Dazu hat Schlöndorff in der Vorbereitung auch die Drucke Goyas, die "Schrecken des Krieges" studiert, wo etwa ein Gehängter erst durch die Darstellung eines ungerührten, Pfeife rauchenden Landsers seinen Schrecken bekommt.

"Jeder hat ein Gefühl für die eigene Integrität"
Während der Arbeit an "Der neunte Tag" hat Volker Schlöndorff sich die Frage gestellt, "gibt es irgendetwas, was mir so wichtig ist, das ich es nicht aufgeben würde. Gibt es irgendetwas, an das ich glaube? Das muss ja nicht ein religiöser Glaube sein. Es kann auch ein Entwurf von mir selber sein." Und dann folgt die nächste Frage, bei deren Bewältigung gläubige Menschen vielleicht einen Vorteil gegenüber den Existenzialisten haben: "Werde ich die Kraft finden, das zu verteidigen?"

Aber es muss auch nicht unbedingt ein Bezug zum eigenen Leben vorhanden sein. Indem man solche Schicksale mit erleidet, "lebt man auf eine intensivere Weise."

Schlöndorff wurde berühmt mit der Literaturverfilmung "Der junge Törless" nach Robert Musil. Im diesjährigen Locarno-Programm laufen gleich drei Filme von ihm: Neben "Der neunte Tag" in der
Sektion "newsfront", einer Retrospektive zur besonderen Beziehungen zwischen Journalismus und Film, "Die verlorene Ehre der Katherina Blum" von 1975 und "Die Fälschung" von 1981. Da liegt die Frage nach den Medien von heute nahe und bringt den stillen Mann fast in Rage: "Katharina Blum streitet noch um ihre Ehre, weil die 'Zeitung' sie in ihren Dreck zieht, heute wird ja jeder auf diese Art und Weise behandelt, da ist schon ganz normal." Während er lange überlegt, "wie nahe darf ich an einen Schauspieler rangehen, der gerade erfährt, dass seine Mutter tot ist", und mit Stilmitteln eine gewisse Distanz schafft, halten die Kameras heute hemmungslos drauf. Echte Menschen werden zu "Schauspielern ihres Schmerzes, den sie gar nicht ausdrücken können." Dabei weiß der Meister: "Aus der Nähe ist niemand groß", kommt sich damit aber als "totaler Anachronist" vor.

"Sauschwer ..."
In einer Zeit, in der selbst Regie-Legenden wie Schlöndorff in Europa drei bis vier Jahre um ein Projekt kämpfen müssen, war "Der neunte Tag" "ein Glücksfall": Im September 2003 bekam er das Drehbuch, im Mai war der Film fertig. Obwohl am Anfang die Mittel noch nicht da waren, sagte der Regisseur: "Wir machen es mit der Hälfte!" So konnte er endlich wieder einen Film mit dem Schwung der ersten Leidenschaft realisieren. "Ansonsten schiebt man immer einen unübersichtlichen Berg von Projekten vor sich her. Und viele Jahr bleiben einem nicht mehr", meint der 65-Jährige ernst. Doch irgendwie reizen ihn diese Schwierigkeiten auch: "Ich lebe viel intensiver, wenn ich arbeite. Je schwieriger der Film, je größer die Befriedigung."

Zu seinen amerikanischen Filmen und Möglichkeiten befragt, gesteht er frei: "Ich könnte ja drüben Filme machen, oder: ich könnte nicht, es ist nicht in meiner Natur. Ich hätte das Handwerk, aber ich könnte das nicht bedienen."

Da ist sie wieder die tiefere Thematik aus "Der neunte Tag": Erkenne dich selbst und was du willst!


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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