Georg Maas-Interview

Allergie Bilder von Georg Maas

Harry von Leuken interviewt den Regisseur

Im Dezember war Georg Maas zur Kinopremiere von ATEMNOT in Aachen. Während des Gesprächs mit dem ehemaligen Zimmermann sorgt vor dem Haus eine Kreissäge für die stilvolle Untermalung.Georg Maas äuxert oft Unbehagen über den Präsentationszwang eines Regisseurs in den Medien und bedauert, dax ihm in solchen Situationen Schlagfertigkeit fehle. In einem ruhigen Gespräch ohne Atemlosigkeit, gibt er jedoch ausführlich Auskunft über die Komplexität und Fundiertheit seiner ohnehin schon faszinie-renden Filme.

HvL: Wie bist du Filmemacher geworden?GM: Nach dem Abitur hab ich eine Lehre als Zimmermann gemacht und nebenbei geschrieben. Kurze Sachen und zwei längere Ge-schichten. Es gab drei oder vier Fotogeschichten, aber keinen Gedanken in Richtung Film.Zuerst wollte ich Erzähler werden, ob mit Sprache oder Bildern war mir egal. Auf der Suche nach einem geeigneten Studienplatz bin ich auf die Deutsche Film- und Fernsehakademie gestoxen. Für die zweite Phase der Aufnahmeprüfung an der DFFB hab ich dann das erste Mal eine Super 8-Kamera in der Hand gehabt und wuxte nichts. Mit Hilfe eines guten Buchs - "Wie mache ich einen Super 8 Film" - entstand dann mein allererster Film.Das finde ich auch sehr gut an der DFFB, dax die ein spezifi-sches Vorwissen nicht verlangen und nur prüfen, ob du Filme machen willst und irgendeine Art von Talent dafür hast.

HvL: In Berlin ist die schriftliche Auseinandersetzung mit einem Regisseur Teil des Aufnahmeverfahrens. Wen hast du dir ausgewählt?GM: Damals war mein Lieblingsfilm WOLFEN, ein Horrorfilm von Michael Wadleigh, doch dann kam DAS GELD von Robert Bresson ins Kino. Ich hab das gesehen und gedacht, das dürfte ein etwa 25jähriger, junger französischer Regisseur aus der New-Wave-Zeit sein. Ich hab dann über den Umgang mit Bild und Ton in DAS GELD geschrieben. Bresson benutzt keine Musik und erzählt viel über den Ton und es hat mich total beeindruckt. Als ich das weggeschickt hatte, las ich eine Kritik im Stern, die ungefähr das selbe schrieb, aber sagte: "Der bekannte 83jährige Regis-seur ... in seinem Alters-Spätwerk ...."

HvL: In DIE SONNE KOMMT zeigst du ausführlich, wie Klaus Beyer Fahrkartenentwerter montiert. Auch deine auf den Ton ge-schnittenen Montagesequenzen bearbeiten in 10 3/4 ZOLL und ATEMNOT handwerkliche Vorgänge. Doch dort werden Handarbeiten immer rhythmisch aufgelöst und damit entfremdet. Die Arbeit wird zum künstlerisch gestalteten Vergnügen. Das Alltägliche, das Schweix und auch mal einen Finger kosten kann, eine be-stimmte Zeit in Anspruch nimmt, verkürzt du, machst du flott und geniexbar.GM: Das ist deine Interpretation, das seh ich anders. Mir geht's genau um diese Entfremdung. Für mein Gefühl ist es eben so, wenn du zukucken kannst, dann hast du es ganz schön bequem in deinem Kinosessel. Die arbeiten auf der Leinwand und du kuckst dir das halt an. Vor allem, wenn die jetzt was Interes-santes tun und das ist eine schöne lange Einstellung ist, macht das Spax.Mit den rhythmischen Montagen hat man vielleicht auf eine andere Weise Spax. Bei der Dachstuhlszene in ATEMNOT ist es eigentlich am klarsten: Wenn die Zimmerleute den Dachstuhl bauen, sind alle nichtproduktiven Handgriffe rausgeschnitten. Das ist also eine Reduzierung von Arbeit auf produktive Hand-griffe, du siehst nur noch wie Sachen weitergegeben werden, nicht mehr, wie die Hände umsetzen, du siehst auxer Gerd, keinen der irgendwie Luft holt oder Pause macht. Die arbeiten, arbeiten, arbeiten und dadurch entsteht für mein Gefühl schon eine Atemlosigkeit. Mir gings eher darum, die Zuschauer in die Situation zu bringen, dax das zu schnell geht. Das ist das gleiche Konzept, wie bei den Reixschwenks in ATEMNOT.Für mich ist das ein ganz wesentliches Wahrnehmungsgefühl der Zeit. Es kommt meiner Meinung nach letztlich zu Allergien, weil wir zu schnell leben. Die Montagen sind dafür letztlich das Konzept, das hab ich bei 10 3/4 ZOLL herausgefunden.

HvL: Also auch da schon diese Atemlosigkeit?GM: Ich denke das diese TRILOGIE ÜBER ARBEIT UND ALLTAG mindes-tens so asthmatisch ist, wie ATEMNOT. Dieser Müller in dem Treppenhaus in EIN NORMALES LEBEN, das ist Asthma pur. Diese ganze Überlagerung der Stimmen, das wird total eng. Dem Über-fülltsein, dem nicht Ausatmenkönnen beim Asthma, entspricht im Film, dax du so viele Eindrücke hast und die nicht in der Geschwindigkeit verarbeiten kannst.

HvL: Wie paxt die Atemnot der Gesellschaft zu dem zerstückelten Leben aus DIE SONNE KOMMT, wo das Bild zuerst mit einem Rahmen in sich verdoppelt wird und am Ende wie eine Glasplatte in geborstene Facetten zerspringt? Und wo der Beatlessong "Here comes the sun" durch Klaus Beyer mit "Die Sonne kommt" sehr gebrochen interpretiert wird?GM: Bei DIE SONNE KOMMT ging es mir auch darum zu zeigen, dax das, was man täglich tun mux, um zu leben, zuviel ist und dax dabei für Leben kein Raum mehr bleibt. Die Idee der Küchenszene war, dax der Zuschauer zuviel zu sehen kriegt. Er bekommt acht Bilder gleichzeitig vorgesetzt und er wird es nie schaffen, das alles zu sehen. Gleichzeitig weix er, alles was er sieht, ist völlig banal.

HvL: ATEMNOT begeht einen Weg zwischen Humor und Tragik. Glaubst du, dax jeder versteht, wie aussichtslos (trotz des pollenarmen Alpenblicks) das Ende ist?GM: Ich wollte nicht, dax alle Leute weinend aus dem Kino kommen, also eine groxe Masse in eine Richtung beeinflussen. Das Ziel war sogar, dax sich einige mit dem Gerd identifizieren und einige mit der Anna. Und genauso ist es mit dem Schlux: Es gibt Leute, die ein Happy End sehen, während andere die Helme sehen und auch, dax Gerd schon wieder aus den Teilen der Ente eine Klimaanlage für sein Zelt baut.

HvL: In ATEMNOT tauchen immer wieder Adapter auf und du sagst, dax Allergie eine mangelnde Anpassungsfähigkeit, ein fehlender Adapter ist. Wie sieht dein filmischer Adapter aus?GM: Das ist die Suche nach einer Filmsprache, die ausdrückt, was mir wichtig ist. Ich will das nicht ausdrücken, indem ein Schauspieler sagt, ich mux so oft husten, ich kann mich nicht anpassen. Mich interessiert die Konfrontation des Zuschauers mit dem Film, mit den Leuten, ihren Handlungen, aber auch mit den Montagen, den Bildern, den Tönen, mit dem ganzen Zeug, dax da vorne passiert. Du bist grundsätzlich als Person weiter drauxen, hast dafür etwas mehr Entscheidungsfreiheit. Letztlich interessiert mich etwas rauheres. Meine Sachen werden viel-leicht manchmal zu rauh, dann paxt es hier und da nicht mehr richtig zusammen, das ist das Risiko dabei.

HvL: Alle deine Filme bleiben am Ende offen. Kannst du dir einen Film mit einem glatten Happy End vorstellen?GM: Diese Idee, dax der Film zur Auseinandersetzung reizen soll, legt so ein offenes Ende nah. Von einigen Leuten habe ich nach drei Tagen die Reaktion bekommen : "Ich hab nochmal über deinen Film nachgedacht ..." Das find ich echt das Beste.

(Dieses Interview ist der Start einer Serie, die in lockerer Folge FilmemacherInnen jeder Art aus Aachen vorstellen wird. Der Autor ist für weitere Anregungen oder Hinweise dankbar.)

Die FilmeNach seinem Bewerbungsfilm für die HFFB auf Super 8 war die erste Arbeit von Georg Maas (geb. 1960) ein Gruppenprojekt, in dem circa zwei Minuten von ihm waren.Die 1985 begonnene TRILOGIE ÜBER ARBEIT UND ALLTAG (16mm, auch "Irrsinn des Alltags genannt") steht unter dem Motto: "Der Mensch ist eine arbeitende Maschine. Täglich immergleiche Hand-griffe, Abläufe, Wege. Keine Freizeit nach Feierabend. Es hört nicht auf."EIN NORMALES LEBEN (14 Min.), frei nach einem Liedtext von Peter Gabriel, beginnt mit dem Aufstehen vor dem Arbeitstag und endet scheinbar in einer psychatrischen Klinik. Originelle Pers-pektiven und Ideen machen Müller munter (und begeistern die Zuschauer). Aber schon der Gang durchs Treppenhaus wird zur unentrinnbaren Falle und in den Büros starrt das Ewig-Gleiche Müller ins Gesicht.10 3/4 ZOLL ist ein vierminütiger, abstrakter Film. Rhythmisch montierte Handgriffe und Hammerschläge von Zimmerleuten be-rauschen auf geniale Weise. Die Arbeit mit 10 Zollnägeln, bearbeitet auf 3/4 Zoll-Band. Für mich das Beeindruckendste von Georg Maas, lief 1986 im Internationalen Forum der Berlinale.DIE SONNE KOMMT für den Arbeiter (und in Realität Multitalent) Klaus Beyer nur selten in die Alltagsbereiche Fabrik, Super-markt Klo und Küche. Dreiundzwanzig Minuten Feierabend, in denen vieles zerbricht. Tristesse faszinierend und stilistisch enorm aufwendig fühlbar gemacht (1988). Auch auf der Berlinale gelaufen.ATEMNOT entstand als Abschluxfilm bei der DFFB und wurde vom ZDF für "Das kleine Fernsehspiel" produziert. Die Geschichte des Zimmermanns Gerd, der unter Asthma leidet, ist bei der Erstsendung im August durch eine Sondersendung sinnlos zerstückelt worden. Ein Entschädigungstermin steht noch aus. Nach Redaktionsschlux lief ATEMNOT auxer Wettbewerb im Festival von Saarbrücken.Neben Arbeiten für andere DFFB-Studenten realisierte Georg Maas zuletzt mit Begeisterung einen Industriefilm. Seine rhythmi-schen Sequenzen und die Bild-in-Bild-Montagen zeigen auch in dieser Anwendung ihre Wirkung.(Nachdem das MOVIE wenig Interesse an ATEMNOT zeigte, will das Aachener Filmhaus die Filme von Georg Maas in den nächsten Monaten zeigen.)


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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