The Pianist

The Pianist

Frankreich/Polen/Deutschland 2002
Regie: Roman Polanski
Darsteller: Adrien Brody (Wladyslaw Szpilman), Thomas Kretschmann (Captain Wilm Hosenfeld), Frank Finlay (Vater), Maureen Lipman (Mutter), Emilia Fox (Dorota), Ed Stoppard (Henryk), Julia Rayner (Regina), Jessica Kate Meyer (Halina), Ruth Platt (Janina), Michal Zebrovski (Jurek), Wanja Mues (SS-Offizier).
Länge: 148 Min.
Verleih: Tobis StudioCanal
Kinostart: 24. Oktober 2002

http://www.thepianist-themovie.com/pianist.htm

Roman Polanski gelang es mit seinem Cannes-Sieger "Der Pianist", die Geschichte eines Getto-Überlebenden als packendes und erschütterndes Drama lebendig werden zu lassen.

Der 68-jährige Pole Roman Polanski ("Tanz der Vampire", "Chinatown", "Rosemaries Baby") überlebte selbst das Krakauer Getto und die Bombardierung Warschaus. Er wollte schon immer einen Film über diese polnische Geschichte machen, dabei aber nicht seine eigene verfilmen. So fand er in der Autobiographie von Wladyslaw Szpilman den idealen Stoff. Wenn immer seine eigene Erinnerung unsicher wurde, konnte er auf die "überraschende Objektivität zurück greifen, die fast kühl und wissenschaftlich ist." (Polanski)

Der Leidensweg des "Pianisten" Wladyslaw Szpilman beginnt 1939 mit dem deutschen Angriff auf Polen, der Szpilmans Radio-Klaviervortrag der Nocture in D-Moll von Chopin abbricht. Des Pianisten gebildete und wohlhabende Familie versucht noch einen Weile, die Normalität aufrecht zu erhalten, doch die immer wieder unfassbaren Schritte der Entwürdigung aller Juden folgen gnadenlos. Der willkürliche Faustschlag eines deutschen Soldaten trifft den Vater; unter Waffengewalt müssen sich Juden zu tanzenden Narren machen. Man kann es kaum glauben und fragt sich, wo die Deutschen diese unfassbare Menschenverachtung hernehmen. Auch wenn man solche Szenen hundert Mal gelesen, gehört und gesehen hat, bleiben sie unbegreiflich, doch Polanskis Film hat das Vermögen, uns das Unfassbare vorzustellen.

Die Szpilmans bleiben mit kleinen, oft absurden Hoffnungen in Warschau, doch bald muss Wladyslaws katholische Freundin entsetzt ansehen, wie die Szpilmans ins Getto gezwungen werden. Während sein aufbegehrender Bruder jede Zusammenarbeit mit der Getto-Polizei oder Gewinnlern ablehnt, versucht Wladyslaw, mit Hilfe der hohen Achtung, die er als Künstler genießt, die Leben seiner Familie zu retten. Doch 1942 wird die Familie endgültig getrennt, nur der spontane Einsatz eines jüdischen Gettopolizisten rettet Wladyslaw vor dem Todeszügen. Wladyslaw Szpilman bleibt allein zurück - allein zwischen den Koffern der Abtransportierten, allein zwischen den Leichen der Aufständischen, allein in völlig ausgebombten Straßen.

"Der Pianist" erzählt nicht aufdringlich, erzwingt keine großen Szenen und ich dabei doch extrem wirkungsvoll. Einzelne Einstellungen der verlassenen Stadt sind derart gewaltig, dass man sie erst in der unbewegten Fotografie in ihrer vollen Kraft und Schönheit erfassen kann. Es sind vor allem Momente und Bilder, die sich tief in die Eingeweide eingraben. Polanski strebte an, möglichst nahe bei seinen Erinnerungen zu bleiben, realistisch zu sein, aber keinen typischen Hollywoodfilm zu machen.

500.000 Juden pferchten SS und Wehrmacht ins Warschauer Getto, 100.000 starben schon dort an Hunger und Epidemien. Nachdem die Mehrzahl bereits deportiert wurde, begannen am 19.April 1943 die 40.000 letzten einen Aufstand, der einen Monat lang Widerstand leistete, obwohl nur 200 von ihnen bewaffnet waren. 7.000 Juden starben bei diesen Kämpfen, die Überlebenden wurden deportiert. Als die Deutschen Warschau im Januar 1945 verließen mussten, lebten noch circa 20 Juden in der Stadt!

Fragen wie "Weshalb haben sie es getan?", die sich angesichts einer "Ver-Knoppung" von Nazi- und Kriegsgeschichte, der Interview- und Dokumentationsschwemme nicht nur im ZDF, nur noch abstrakt stellten, werden angesichts der konkreten Taten, Opfer und Täter wieder brennend. Der Film ist sich der Gefahr bewusst, dass bekannte und oft verfilmte historische Ereignisse wie Klischees wirken. Doch die Meisterschaft Polanskis liegt darin, dass er Wladyslaws unglaublichen Leidensweg völlig glaubwürdig als Erleben eines Menschen schildert. Die Toten in den Straßen, die sehr eindringlichen Bilder eines völlig zerstörten Warschau brennen sich ins Gedächtnis. Das Kunststück Polanskis ist, unauffällig zu erzählen, fast unsichtbar zu wirken. Er zeichnet das gewaltige Leidenspanorama mit feinen Strichen, ganz entsprechend der Figur des stillen Künstlers Wladyslaw (den Adrien Brody exzellent verkörpert). Doch spätestens bei der verrückten Freude des Verhungernden angesichts eines Marmeladenbrotes kommen selbst dem härtesten Kritiker die Tränen. Mit einer feinen, aber doch mächtigen Erzählkraft überwindet "Der Pianist" jeden walsernden Holocaust-Überdruß.

Wladyslaw Szpilman sieht in seinen vielen Verstecken die Geschichte vor den Fenstern vorbei ziehen - solange er noch stehen und sehen kann. Mal unterstützen ihn Polen, mal vergessen sie ihn in einem Unterschlupf. Als er nebenan regelmäßig ein Klavier hört, spielt er mit zitternden Fingern auf der Tischplatte mit. Im letzten Loch, in dem er sich verkriechen kann - Warschau ist inzwischen völlig zerbombt, findet er sogar ein Piano, wird aber von einem Deutschen erwischt. Der Wehrmachts-Offizier - Massenmörder, Familienvater und Kunstliebhaber - versorgt ihn in den letzten Wochen mit Nahrung, weil er den Künstler Szpilman bewundert. Am Ende wird Szpilman die Sendung des polnischen Staatsradios wieder aufnehmen - mit der Chopin Nocture, bei der er vor sechs Jahren unterbrochen wurde.

Roman Polanski erhielt für "Der Pianist", seine auf unauffällige Weise beeindruckende Geschichte eines polnischen Holocaust-Überlebenden, die Goldene Palme. Dieser Film wird jeden begeistern, der sich nicht von falschen Erwartungen abschrecken lässt.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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