Nachtgestalten

BRD 1998 (Nachtgestalten) Regie und Buch Andreas Dresen, 103 Min. FSK ab 12.

Eine Nacht in einer der Metropolen dieser Erde. Immer wieder reizt es Filmemacher, zu erzählen, was für Schicksale sich unter den Millionen anonymer Menschen ereignen mögen: Jarmuschs "Night on Earth", Detlev Buck demnächst mit "St.Pauli Nacht" und jetzt der Ostdeutsche Andreas Dresen mit seinem, nach "Stilles Land", zweitem Spielfilm "Nachtgestalten". Dresens "Nachtgestalten" aus Berlin sind sehr lebendige Menschen aus allen Schichten. Ihre Nacht wird eine quicklebendige und ehrlich überzeugende Nacht.

Es beginnt damit, daß der ruppige Geschäftsmann Peschke (sensationell: Michael Gwisdek) vom Flughafen statt des Geschäftspartners einen Jungen aus Afrika mitnimmt. Peschke nennt den stumm bleibenden Feliz (Ricardo Valentim) anfangs einen "Negerbengel" und sucht seine verlegte Geldbörse zuerst bei diesem. Doch hinter den unfaßbar albernen rassistischen Sprüchen kommt schnell sein gutes Herz zum Vorschein. Und so geht es ab in die Nacht, auf der Suche nach Ricardo, dem Taxifahrer, der zu spät zum Flughafen kam. Der freundet sich bald mit der Bedienung Rita an, ein Taxifahrer kutschiert "frei Schnautze" einige der Nachtgestalten durch die Gegend und ein paar wilde "Kids" klauen Peschkes BMW.

Ebenfalls ruhelos ist der einfältige Bauernsohn Jochen (Oliver Bäßler), der in der großen Stadt sexuell etwas erleben möchte, sich aber nicht traut und bei der minderjährigen, fixenden Prostituierten hängen bleibt. Ein Pennerpaar (Dominique Horwitz, Meriam Abbas) will den wundersam gespendeten Hunderter für eine traumhafte Nacht im Hotel ausgeben, die Suche nach einer Herberge wird jedoch für die Obdachlosen zur existenziellen Odyssee. Und gleichzeitig kocht ein Pabstbesuch die Stimmung in der Stadt auf ("Just the Ticket", "Das merkwürdige Verhalten von Männern und Frauen ... ").

"Nachtgestalten" ist ein gelungener Ensemblefilm. Trotzdem tritt vor alle die darstellerische Leistung von Michael Gwisdek mit dessen Episoden hervor. Gwisdek erhielt bei der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären als Bester Darsteller. Sein Peschke ist einfach sagenhaft in seinem Rassismus. Beispiel: Als er den kleinen Feliz in die Wohnung läßt, meint der Gestreßte entschuldigend "Bei euch in Afrika ist es auch nicht immer aufgeräumt". Peschke ist ein vielschichtiger Jedermann, dem sein allgegenwärtiger Überboss Dr. Schneider im Nacken sitzt.

Andreas Dresen gelang mit einem lächerlichen Drei-Millionen-Budget ein unprätentiöser Film, der dadurch umso mehr überzeugt und auf der letzten Berlinale bejubelt wurde. Man glaubt seinen Figuren das Leben, kein falscher Satz läßt die atemberaubende Spannung reißen. Im Hintergrund lügen zynische Werbebotschaften wie "Wohlstand ist machbar". Lachen und Weinen liegen wie in den ehrlichen britischen Sozial-Filmen von Ken Loach nahe beieinander. Obwohl sich der Tod auch in dieser Nacht meldet, obwohl es Schläge und Tränen gibt, hält sich im Film eine hartnäckige Hoffnung. Doch auch die kommt letztendlich nicht simpel und ausgetreten daher: Im letzten Bild erreichen die Kids aus der Stadt das Meer, diesen Endpunkt vieler Reisen. Der geklaute BMW brennt und in den Gesichtern kann man die Zukunft suchen.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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20.12.1999