Der neunte Tag

BRD,  Luxemburg 2004 (Der neunte Tag) Regie: Volker Schlöndorff mit Ulrich Matthes, August Diehl, Germain Wagner, Bibiana Beglau 97 Min.

Es ist die Hölle. An einem Ort, wo Priester gekreuzigt werden, das Gebet mit dem Tod bestraft werden kann, da gibt es keinen Gott mehr. Aber es gab einen Pfarrerblock im KZ Dachau. Geistliche aus ganz Europa pferchten die Nazis dort zusammen. Unter ihnen Abbé Henri Kremer (Ulrich Matthes). Er muss miterleben, wie andere gefoltert werden, täglich sterben, wird fast wahnsinnig vor Durst. Dann plötzlich die Entlassung! Erst in der Heimat, in Luxemburg erfährt er, es sind nur "neun Tage Urlaub" aus dem KZ. Vorgeblich wegen des Todes seiner Mutter, tatsächlich, um für die Gestapo Erfüllungsgehilfe zu spielen.

Untersturmführer Gebhardt (August Diehl), ein junger, theologisch gebildeter Karrierist, beginnt sein zynisches Spiel mit dem ausgemergelten Kremer, der sich kaum noch im bürgerlichen Leben zurecht findet. Der anerkannte Vordenker der katholischen Kirche soll gegen den rebellischen Luxemburger Bischof auftreten, der täglich die Glocken aus Prostest gegen die Nazi läuten lässt. In brillanten Dialogen kämpfen der verhinderte Theologe Gebhardt und der erniedrigte Priester um Fragen der Moral, wo es doch nur ums bloße Überleben zu gehen scheint.

Der Machtmensch Gebhardt hat alle Trümpfe in der Hand, droht etwa damit, alle im Pfarrerblock erschießen zu lassen, sollte Kremer fliehen. Der wiederum braucht nur ein Pamphlet für die Kirchenpolitik der Nazis zu schreiben, später reicht gar seine Unterschrift. Die Schwester (eindringlich: Bibiana Beglau) des bescheidenen Mannes bedrängt ihn, der Bruder, ein kollaborierender Industrieller, versucht seine Beziehungen zu den Deutschen einzusetzen. Doch Kremer scheint standhaft zu bleiben ...

Oscarpreisträger und Cannes-Sieger Volker Schlöndorff beschäftigte sich seit seinem ersten Erfolg "Der junge Törless" mit dem Kampf des Einzelnen, unter Terror und Gewalt aufrecht zu bleiben. Nach NS-Themen in "Die Blechtrommel" oder im "Unhold", "drückte" er sich lange um die Inszenierung von KZ-Szenen, hatte aber nun "zum ersten Mal das Gefühl, das kann man ja machen." Die ersten zehn Minuten des Films in Dachau, waren ihm besonders wichtig. Der Zuschauer sollte selbst Angst vor diesem Grauen haben, persönlich nicht wieder an diesen Ort kommen wollen. Und es funktioniert - mit grauen, grobkörnigen Bildern, engen Bildausschnitten voller Schrecken.

Wie die Inszenierung so packt auch Ulrich Matthes als Kramer beim ersten Anblick: Ein unfassbar eindringliches Gesicht, grausam ausgemergelt, nur noch dunkle Augen, die fragen und klagen. Sein Gegenspieler Gebhardt versprüht Kälte in jedem Satz, in jedem Handschlag, jedem Gedanken. Dieser Gestapo-Mann schlittert haarscharf am Klischee des hoch gebildeten Unmenschen vorbei. Doch die Art wie der Bürgersohn, der fast über das Phänomen Judas promovierte, Verrat in allen Nuancen anbietet, fasziniert emotional und intellektuell. Judas ist immer bei diesen Gesprächen dabei, wird gar zum Religionsstifter uminterpretiert. Aber auch Papst Pius XII, der "Stellvertreter" Hochhuths, wird unerwähnt mitgedacht in diesem persönlichen Drama vor authentischen historischen Hintergründen.

Die Figur Henri Kremer basiert auf der Biografie des Luxemburger Priesters Jean Bernard (1907 - 1994). Er war seit 1934 Generalsekretär des Internationalen Katholischen Filmbüros (O.C.I.C.) in Belgien und Luxemburg sowie Konsultor der Päpstlichen Kommission für Film, Funk und Fernsehen. Im Januar 1941 wurde er von den deutschen Besatzern verhaftet und im Mai in KZ Dachau deportiert. Seine Zeit im KZ schilderte er tagebuchartig im Buch "Pfarrerblock 25487" (Morus Verlag). Frei nach einer Episode aus diesem autobiografischen Bericht entstand Schlöndorffs "Der neunte Tag".

Weblink: http://www.der-neunte-tag.de/

Interview mit Volker Schlöndorff
http://www.programmkino.de/Locarno_2004/locarno_2004.html


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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