Der neunte Tag

Internationale Premiere in Locarno

Von Günter H. Jekubzik

"Diese Epoche wird die Deutschen nie loslassen. Wenn in hundert Jahren noch Filme gemacht werden, dann werden in hundert Jahren noch Filme über den Holocaust gemacht", sagte Volker Schlöndorff kürzlich in einem Interview. Gestern erlebte Schlöndorffs neuester Film "Der neunte Tag" seine internationale Premiere vor großer Kulisse beim 57. Filmfestival von Locarno.

Der Luxemburger Priester Jean Bernard (1907 - 1994) war seit 1934 Generalsekretär des Internationalen Katholischen Filmbüros (O.C.I.C.) in Belgien und Luxemburg sowie Konsultor der Päpstlichen Kommission für Film, Funk und Fernsehen. Im Januar 1941 wurde er von den deutschen Besatzern verhaftet und im Mai in KZ Dachau deportiert. Seine Zeit im KZ schilderte er tagebuchartig im Buch "Pfarrerblock 25487" (Morus Verlag). Frei nach einer Episode aus diesem autobiografischen Bericht entstand Schlöndorffs "Der neunte Tag", Bernard heißt dort Henri Kremer.

Die ersten blassen Bilder werfen einen direkt in das Grauen Dachaus. Im "Pfarrerblock" wurden Geistliche aus ganz Europa zusammengepfercht. Abbé Henri Kremer (Ulrich Matthes) ist unter ihnen, muss miterleben, wie andere ans Kreuz gehangen werden, wird fast wahnsinnig vor Durst. Dann plötzlich die Entlassung! Erst in Luxemburg erfährt er, es sind nur "neun Tage Urlaub" aus dem KZ. Vorgeblich wegen des Todes seiner Mutter, tatsächlich, um für die Gestapo Erfüllungsgehilfe zu spielen.

Untersturmführer Gebhardt (August Diehl), ein junger, theologisch gebildeter Karrierist, beginnt ein zynisches Spiel mit dem ausgemergelten Kremer, der sich kaum noch im bürgerlichen Leben zurecht findet. Der Priester soll gegen den rebellischen Luxemburger Bischof auftreten, der täglich die Glocken aus Prostest gegen die Nazi läuten lässt. In brillanten Dialogen kämpfen der verhinderte Theologe Gebhardt und der erniedrigte Priester um Fragen der Moral, wo es doch nur ums bloße Überleben zu gehen scheint.

Wie die Inszenierung so packt auch Ulrich Matthes als Kramer beim ersten Blick: Ein unfassbar eindringliches Gesicht, grausam ausgemergelt, nur noch dunkle Augen, die fragen und klagen. Sein Gegenspieler Gebhardt versprüht Kälte in jedem Satz, in jedem Handschlag und jedem Gedanken. Dieser Gestapo-Mann schlittert haarscharf am Klischee des hoch gebildeten Unmenschen vorbei. Doch wie der Bürgersohn, der fast über das Phänomen Judas promovierte, Verrat in allen Nuancen anbietet, fasziniert emotional und intellektuell.

Schon immer beschäftigten sich Schlöndorffs Filme damit, wie der Mensch unter Terror und Gewalt aufrecht bleiben kann. Das sind auch Themen aus der Zeit des Dritten Reiches, "Die Blechtrommel", zuletzt "Der Unhold" mit John Malkovich. Es spricht für den mit Oscar und Goldener Palme ausgezeichneten Regisseur, dass er damit nach dreißig Jahren noch zu interessieren weiß.

Nach der großen Premiere in Locarno vor einigen Tausend Zuschauern wird es bis zum 11. November dauern, bis "Der neunte Tag" in die deutschen Kinos kommt.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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