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Merry Christmas
Frankreich, BRD, Großbritannien 2005 (Joyeux Noël) Regie: Christian Carion mit Diane Krüger, Benno Fürmann, Guillaume Canet, Daniel Brühl, Gary Lewis 110 Min.
Ein unglaublicher Kriegs-Kitsch: Zu schöne Bilder, eine (teilweise) unmögliche Besetzung und doch im Kern ein tief ergreifendes Ereignis: Die gegnerischen Soldaten ignorieren an der Front die Befehle von oben, kommen aus ihren Gräben, gehen auf den "Feind" zu und feiern mit ihm ein stilles Friedensfest.
Der festgefahrene Grabenkrieg in Flandern, wo die Industrien ihre Waffen mit ungeahnten Vernichtungskräften und besonders perfiden Techniken "an den Mann brachten". In Verdun, den Ardennen, an der Marne waren im Ersten Weltkrieg die Soldaten noch tausendfach weniger wert waren als ihre heutigen "Kameraden" am Hindukusch. Auch der deutsche Tenor Nikolaus (Benno Fürmann) wurde von der Bühne weg eingezogen, will keine Sonderbehandlung und wird einfacher Soldat. Im Dreck, im Ungeziefer und im menschlichen Verfall der Schützen- und Laufgräben bildet er eine moralische Instanz. (Als düsterer Gegenspieler zu schwer beladen: "Offizier" Daniel Brühl.)
Mit einer wunderbaren Stimme und geschickt eingesetzten Beziehungen arrangiert derweil seine Frau, die Starsopranistin Anna (Diana Krüger), einen Konzertabend in der Nähe der Front. Nikolaus legt mit seiner Partnerin vor dem debil kriegslüsternen Kronprinzen ein eher peinliches Duett hin. Wie hieß es noch: Nach Verdun kann man keine Lieder mehr singen ... Dann schleichen sie sich zu den Kameraden an die Front, um auch dort ein Ständchen zu bringen. Und bei "Stille Nacht" geschieht das Unfassbare: Nikolaus steigt singend aus dem Graben und in der Trümmerlandschaft zwischen den Fronten weiter zu schmettern. Aus den feindlichen Linien donnert nach einem Moment des Atemanhaltens Applaus, dann fallen zuerst die schottischen Dudelsackspieler ein, die französischen Champagnerflaschen gesellen sich bald auch zur Verbrüderung. Offiziere stoßen an, gemeine Soldaten versuchen sich in Verständigung und Handel in seltenen und ungerecht auf die Gegner verteilten Lebensmitteln. Weihnachtsbäume werden aufgestellt, ein Fußballspiel macht aus dem Schlacht- ein Spielfeld.
Ein unglaublicher Moment, der in den nächsten Tagen zur Dauereinrichtung wird. Selbst als die rückwärtige Artillerie der einen Seite schweren Beschuss ankündigt, werden die anvisierten Kameraden einfach in die eigenen Schützengräben eingeladen und bald darauf umgekehrt. Dass diese tatsächlich ereignete Utopie nicht andauern konnte, zeigt die Zahl der aktuellen Kriege. Die Feldpost verrät den unverschämten, anarchischen und zersetzenden Friedenszustand, die Verantwortlichen werden abtransportiert, beziehungsweise mit dem besonderen Segen der Kirche bei Himmelfahrtskommandos ganz sicher "verheizt". So einfacher und vernünftiger Frieden wäre wohl nur zu haben, wenn die Entscheidungsträger in den Parlamenten oder sonstwo selber mit an die Front müssten.
Der internationale produzierte und besetzte Film hieß seit der Premiere
in Cannes "Joyeux Noel", in England "Merry Christmas" und auf gut deutsch
"Merry Christmas". Er wirkt anfangs peinlich dekorativ, zu schön für
solch ein grausames Thema. Auch Fürmann als Tenor knödelt das Playbackbild
zur Stimme eines anderen ziemlich unglaubwürdig heraus. Doch dann das
so nahe liegende und doch unfassbare, was 1914 an der Westfront tatsächlich
geschah: Die Soldaten, die sowieso meist nicht wissen, wofür sie eigentlich
morden, hören auf zu schießen und lernen den Menschen im schon
seit der Kindheit verteufelten Gegner kennen. Genau! Was sonst? Gerade in
der schlichten Klarheit rührt und schmerzt die Abwesenheit dieser besten
Möglichkeit im allgemeinen Kriegswesen sehr tief.
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