Marie's Lied: Ich war, ich weiß nicht wo

Locarno. Im überraschend guten Wettbewerb des "47. Festival Internazionale del Film" von Locarno hatte "Marie's Lied: Ich war, ich weiß nicht wo" seine Weltpremiere. Den einzigen deutschen Beitrag in der Konkurrenz neuer Filmemacher und junger Filmnationen schrieb und inszenierte der aus Köln stammende Niko Brücher.

"Marie's Lied: Ich war, ich weiß nicht wo" ist im Preußen des Jahres 1813 angesiedelt. In einer historischen Epoche, die im künstlerischen Bereich frei und leicht, dabei in Folge der Napoleonischen Kriege gleichzeitig äußerst brutal war, wie der Regisseur Niko Brücher erzählt. Marie's Geschichte, die er um diesen Gegensatz aufbaute, spielt sich ganz in einem abgelegenen Landgut ab. Die Aufnahmen fanden in Koproduktion mit WDR, SWF und Arte in der Nähe von Köln statt. Einer Freundin Voltaires, Madame de Chatelet, wurde die Mutter Maries nachempfunden: Die energische Forscherin ist in einem abgelegenen Winkel des schummrigen Hauses zwischen historischen Landschafts-Modellen und optischen Spielereien in ihre Studien vertieft. Die Ankunft eines Herrn Tümmler, der ihr neue Spiegel liefert, bringt der jungen, in ihrer naiven Reinheit weiß schimmernden Marie mit dessen Sohn Auguste (sprich "o:gyst") einen Partner für erste, unschuldige Herzens-Spiele. Doch mit den sadistischen Gelüsten Tümmlers taucht auch erste Verstörung in der verträumten Idylle auf. Einer Horde von anmutig zerlumpten Streunern wird Quartier geboten. Ihr junger Anführer, ein langhaariger, wilder Schönling in Uniformjacke, reizt zuerst die Gemüter von Marie und ihrer Gouvernante, dann nimmt er sich mit Gewalt das Schloß und die Unschuld der noch nicht sechszehnjährigen. Eingesperrt in Scheune und Dachboden agieren jetzt die Kinder gleichermaßen poetisch wie von entschlossener Rache getrieben gegen die zügellosen neuen Machthaber.

Schon mit den ersten Bildern, einer Kavallerie-Truppe, die im Abendlicht verstreut über einen Hügelrücken zieht, zeigt sich ein Talent für atmosphärische Einzelszenen. Wie schon in Brückers Kurzfilm "Hochzeitsgäste" nahm die junge, aber in ihrer Heimat Polen bereits hoch geehrte Jolanta Dylewska exquisite Bilder auf. Die karge Handlung wagt mit extrem wenig Worten die Konzentration auf ein emotionales Geflecht zwischen Personen verschiedenen Alters. Aber mit noch weniger Humor bleibt alles ernst - gedämpft wie das Licht, das kaum die Kraft hat, die verstaubten, hochstilisierten Räume zu durchdringen. Manchmal wirken sie mit übergroßen Schachfiguren wenigstens skurril, die Kunstszenarien, die ebenso tot auf der Leinwand erscheinen wie die Modell-Landschaften von Maries Mutter. Die Figuren wurden durch die Maske in ihrer Mimik überzeichnet, sodaß Künstlichkeit vorherrscht, aber der Hauptmangel des Film spricht schon aus den vielen Interviews, die Niko Brücher hier in Locarno gab: Zu oft benutzt er für "Marie's Lied" die Worte 'aufbauen', 'anlegen' und 'konstruieren'.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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