Die Krise

Fr 1992 (La Crise) R: Coline Serreau, 95 Min.

Ein Mann sieht Morgenrot

Ein Mann verliert Frau und Job. Danach könnte er durch die Gegend amoklaufen, all die Minderheiten abknallen, die es schon immer schuld waren (so zu sehen in "Falling Down"). Mann kann aber auch zu Freunden rennen, sich ausheulen und Rat einholen. So versucht es Victor (Vincent Lindon) in Coline Serreaus neuer Komödie. "Die Krise" Victors trifft überall auf ähnliche Probleme. Nirgendwo vermag er einen Leidenssatz zu beenden, die Streitereien der anderen um Liebe, Geld und eine zerstörte Violine übertönen seine hilflose Verzweiflung. Dauernd stößt er auf Lebensumbrüche, selbst die Ehe seiner Eltern fällt auseinander: Victors Mutter hat die Nase voll, sich um die Krisen der anderen zu kümmern, möchte mit ihrem neuen Liebhaber endlich wieder Spaß haben: "Meint ihr, ich habe euch mit meinen Ohren gemacht? Ich habe euch mit meinem Hintern gemacht, meine Süßen. Und dem Hintern eurer Mutter, das sage ich euch, dem geht's bestens." Nur Michou (Patrik Timsit), ein kleiner schmuddeliger Prolet, hat immer ein offenes Ohr und eine bettelnde Hand. Rülpsend, schmatzend und schrecklich undeutlich sprechend, trägt der kleine Mann als menschliche Klette sein großes Herz durch die Welt.

So hält Victor, als er seine Freunde das zweite Mal besucht, den Mund und hört zu. Bis er wirklich zu sich kommt, ist es zwar noch ein langer Weg, doch nachdem Victor auf einem einsamen Berggipfel ein Licht aufgeht, erwartet ihn auch irgendwo im Schatten eine herzerfrischende Belohnung. Auch Serreaus Film ist ruhiger geworden. Von der anfänglich quirligen Komödie, in der sich geistreichen Einfälle rund um "Die Krise" überstürzten, gleitet er zum nachdenklichen Schmunzeln hinüber, wird leiser und weiser.

Wie schon in ihren letzten beiden Filmen "Drei Männer und ein Baby" - in Frankreich der erfolgreichste Film der letzten 25 Jahre und von Hollywoods kalter Logik kopiert - sowie "Milch und Chokolade - Romuald und Juliette" zwingt Serreau erfolgreiche Anzugträger wie Victor, sich mit vollkommen unerwarteten Situationen auseinanderzusetzen und bringt Unruhe in aufgeräumte Innenleben. Die dichte, bis in Details gelungene Inszenierung, erhält durch eine Reihe guter Theaterdarsteller viel Leben und enthält das Geheimnis der Liebe - leider wird es zu leise geflüstert. Zudem zeichnet die Autorin und Regisseurin (schon 1977 schuf sie den Kultfilm "Pourquoi pas") einen bissigen Querschnitt der französischen Gesellschaft. Sie läßt den einfachen Michou mit piekfeinen Snobs zusammenprallen und zeigt den Unterschied zwischen einer theoretisch fremdenfreundlichen Haltung Victors und dem 'Rassisten' Michou, der mit seinen arabischen Kumpels säuft: "Ja, ich mag keine Araber - außer Djamila, weil sie meinen Bruder geheiratet hat, Farid und Mohamed, weil wir zusammen in der Schule waren, den Lebensmittelhändler hier in der Straße ..."

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Coline Serreaus wunderbare Komödie läßt den armen Victor mit seiner persönlichen Krise - Job weg, Frau weg - hilflos in einer Welt voller Krisen herumirren. Alle Freunde streiten sich um Geld oder Liebe, niemand blickt über den Tellerrand des eigenen Schlamassels. Nicht mal bei den Eltern kann Victor - mittlerweile in Begleitung des anhänglichen Penners Michou - Trost finden: Die Mutter trennt sich gerade vom Vater und allen Pflichten, um mit einem jüngeren Mann noch einmal die Liebe zu erleben.

Allein bei sich selbst kommt Victor und mit ihm auch die zweite Hälfte des Films zur Ruhe. Von der turbulenten, wortwitzigen Komödie wechselt "Die Krise" zu einem weisen, heiteren Humor. Nach "Drei Männer und ein Baby" sowie "Milch und Chokolade - Romuald und Juliette" wieder ein ganz außerwöhnliches Vergnügen von Serreau, das erstmalig und wohl auch einmalig in Aachen zu sehen ist. Serreau ist übrigens auch Autorin des zur Zeit laufenden Theaterstücks "Hase Hase".Harry van Leuken


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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