Hinter der Sonne

Brasilien/Schweiz/Frankreich 2001 (Abril despedaçado) Regie: Walter Salles. Mit: José Dumont, Rodrigo Santoro, Rita Assemany, Ravi Ramos Lacerda, Flavia Marco Antonio, 91 Min

Ein weißes Hemd weht im Wind. Wenn der große Blutfleck sich gelb gefärbt hat, wird die Gnadenfrist verstrichen sein, die Blutrache verlangt dann ein neues Opfer. Es gilt: Auge um Auge bis alle blind sind, es ist ein Land der Blinden. Das Sterben für das eigene Stück Land ist hier Familientradition - seltsam, wo es doch sichtbare eine Qual ist, diesem kargen Boden etwas abzuringen.

Es ist an dem stillen Tonho (Rodrigo Santoro), seinen Bruder zu rächen, vorsichtiger Widerspruch an der rauen Familientafel in dunkler Kammer wird brutal nieder geknüppelt. Ängstlich und automatisch geht der Junge auf die grausame Menschjagd, die schrecklicher abläuft, als er es sich vorgestellt hat. Danach betet Tonho am Sarg des Opfers, bittet um Gnadenfrist, bis das Blut auf dem Hemd sich gelb färbt ...

In diesem Terror der Blutrache, in einer Stimmung von Repression, Trauer und Hass herrschen die Toten. Welche Befreiung stellt da der Ausflug in den nächsten Ort da, wo fahrende Akrobaten zu einem endlos rasenden Taumel am Seil verführen. Tonho verfällt der Zirkusfrau Clara, kann sich aber noch nicht von seiner mörderischen Pflicht lösen. Erst das Zureden des kleinen, träumenden Bruders, des Kindes ohne Namen, das im Off die Geschichte erzählt, kann zur rettenden Flucht bewegen. Doch der Familie ist die Tod bringende Tradition wichtiger als das Leben des eigenen Kindes ...

Nach "Central Station", für den es 1998 einen Goldenen Bären gab, und dem kürzeren, aber nicht weniger intensiven "Meia Noite" bringt der Brasilianer Walter Salles ein packendes Stück pures Kino in die internationalen Theater. Nicht nur die archaische Geschichte aus Brasilien am Anfang des letzten Jahrhunderts, auch die ungemein spannende Gestaltung kitzelt Augen und Sinne. Kameramann Walter Carvalho gewinnt aus dem trockenen, kargen Land mit seinen toten Bäume großartige Bilder in satten braunen Farben. Die Angst in den Gesichtern der exzellenten Schauspieler bei den faszinierenden weil so perversen und unzeitgemäßen Ritualen lässt einen nicht mehr los. Mit der gleichen Macht reißen einen die lebensfrohen Momente mit den Akrobaten, die Träumereien des kleinen Bruders mit. "Hinter der Sonne" ist kraftvoll wie ein mythischer Western, dabei mit seiner sozialen Stellungnahme fest im kargen Boden verwurzelt. Die Vorlage, der Roman "Broken April", stammt vom albanischen Autor Ismail Kadaré, könnte aber in vielen Ländern spielen.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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