Das Glücksprinzip

USA 2000 (Pay it Forward) Regie Mimi Leder, 122 Min.

Der Grenzbereich des Kitsches ist ein fruchtbarer Boden für allgemein sehr bewegende Themen. Dort ist auch "Das Glücksprinzip" angesiedelt. Ist es eine simple Geschichte vom Gutmenschentum? Oder ein großer humanistischer Entwurf in Unterhaltungsform? Diese Diskussion wird den Film lange begleiten und macht ihn jenseits persönlicher Vorlieben interessant.

Die erste Stunde des neuen Lehrers. Mr. Eugene Simonet (Kevin Spacey) mit dem vernarbten Gesicht stellt in einem nahezu magischen Moment den jungen Schülern eine Aufgabe von philosophischen Dimensionen: "Entwickle eine Idee, die unsere Welt verändert und setze sie in die Tat um." Der elfjährige Trevor (Jay Mohr, der Junge aus "The 6th Sense") erfüllt diese Hausaufgabe mit einer simplen und zugleich überzeugenden Vision: Wenn jeder als Dank für eine Hilfe oder einen wichtigen Freundschaftsdienst drei weiteren Menschen hilft, die jeweils wiederum drei andern einen Gefallen tun, würde es besser aussehen auf dieser Welt. Glück im Schneeballsystem! Da Trevor ein selbstsicheres, sehr erwachsenes Kind ist, verfolgt er sein Ziel energisch, lässt er nicht locker. Es gibt einiges zu tun, hier am Rande von Vegas. Trevors Mutter ist Alkoholikerin, gibt aber bis zur Verzweiflung alles, um ihrem Sohn ein gutes Leben zu ermöglichen. Der Lehrer Eugene ist ein kluger, aber einsamer Humanist, dessen Narben ein grausames Geheimnis vermuten lassen. Und direkt hinter den Prachtbauten der Stadt hausen die Oberdachlosen mit ihren Schicksalen. Nicht zufällig ist dieser utopische Versuch, das Angesicht unserer Gesellschaft zu verändern, in der zynischen "Stadt des Glücks" Las Vegas angesiedelt.

Die exzellent melodramatische Geschichte mit toller Besetzung (Kevin Spacey, Helen Hunt) verbindet gute, bewegende Unterhaltung mit tiefgründig gezeichneter Sinnsuche. Bis auf das unerträglich rührselige Finale gelang Mimi Leder ("Peacemaker", "Deep Impact") nach dem Bestseller von Catherine Ryan Hyde ein bemerkenswerter Film. "Das Glücksprinzip" wird im Rückblick, von einer seltsamen Begegnung in der Nacht ausgehend, erzählt. Der Journalist Chandler verfolgt eine erstaunliche Kette der Hilfsbereitschaft zu ihrem Anfang.

Es geht - wie so oft im US-Film - immer um Familie. Im Bösen mit Inzest, Gewalt (Jon Bon Jovi als gewalttätiger Vater) und Alkohol, wie im Guten mit Liebe, Geborgenheit und Glück. Daraus ergeben sich rührende Momente voller Vergebung bis zum unmöglichen Finale, das maßlos Gefühlskitsch ausgießt. Trevor beeindruckt als sehr erwachsener Junge, der viel (er-) tragen kann und muss: Seiner Mutter macht er heftigste Vorwürfe, wenn sie wieder mal trinkt. Gleichzeitig hält er Ausschau nach einem Mann für sie. Und welcher Junge nimmt sich ernsthaft vor, die Welt freundlicher zu machen? Man kann sich aber auch über den kleinen, moralischen Besserwisser aufregen. Und kritisieren, dass Elend und Leid letztlich oberflächlich geschildert werden. Thomas Newmans Musik klingt nach "Magnolia" und "Das Glücksprinzip" hat ähnliche Qualitäten, räumt der Botschaft und dem Sentiment allerdings zu viel Raum ein, der (freien) Form hingegen zu wenig.

Auch in seiner Kernaussage zeigt sich "Das Glücksprinzip" problematisch: Führt Trevor Altruismus in der religionsfreien Nachfolge Jesu vor? Oder ist es eine umständlich verhüllte Variante des Egoismus, denn letztendlich sollen die Wünsche ja wieder bei Trevor ankommen und auch sein Leben einfacher machen. Der Film an sich macht es sich jedenfalls einfach, in dem er sich für letztere Alternative entschied. So ist der Originaltitel "Pay it Forward" untreffend, der übersetzt bedeutet: Gib es weiter! Das letztendliche Glücksprinzip dieses Films lautet: "Pay it back" - Gib es (mir) wieder!


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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