Locarno 1990 -Eröffnung

Am heutigen Donnerstag beginnt in Locarno mit dem 43. Internationale Filmfestival wieder ein Balance-Akt zwischen touristischem Filmspektakel am Lago Maggiore und Nachwuchs-Förderung für junge Kinonationen oder -regisseure. Den Erfolg der allabendlichen Freiluftvorführungen auf der Piazza Grande könnte nur der Wettergott schmälern. Hier sieht das Publikum vom 2.12.August in einer der schönsten 'Kino'-Atmosphären ausschließlich Werke, die sich ihre Lorbeeren bereits auf anderen Festival verdienten. Am Eröffnungsabend wird beispielsweise der Berlinale-Preisträger "Lerchen am Faden" von Jiri Menzel gezeigt.Problematischer ist da der Wettbewerb, bei dem es die Organisation rund um den künstlerischen Leiter David Streiff jedes Jahr schwer hat, neue, unprämierte Filme zu finden. In den letzten Jahren war deshalb das Risko groß, Filme zu sehen, die nicht dem Format eines AFestivals entsprachen.Eine 'Bank' für Filmliebhaber ist dagegen die, im neu geschaffenen Kursaal gezeigte, Retrospektive um den russischen Regisseur Lev Koulechov. Mit einer Verdammung des "russischen psychologischen Films" schuf er in den zwanziger Jahren eine illusionsorientierte Gegenposition zu Dsiga Wertow. Koulechov gehört zu den wichtigsten Figuren in der Entwicklung der sowjetischen Filmkunst.Wohin diese durch Stalin und seine Epigonen geführt wurde, zeigt die Sektion der "Tresorfilme", Werke die in den Sechzigern in sozialistischen Ländern verboten wurden.Die Aufarbeitung dieses unschätzbaren Verlustes an filmischer Riskobereitschaft geht leider zu Lasten der 3.Welt. Wie Wirtschaft und Politik allgemein, wendet sich auch Locarno dem Osten zu und vergißt Länder sowie Kontinente, die bisher einen ausgesuchten Platz im Programm hatten.Doch vor schnellen Urteilen ist zu warnen, da erst die große Zahl der unbekannten unter den circa 130 Filmen dem Festival sein Gesicht und sein Gewicht geben wird.

Günter H. Jekubzik


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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