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30 Jahre Entdeckungen

Die Quinzaine des Réalisateurs

Martin Scorsese, Bernardo Bertolucci, Jean-Luc Godard, James Ivory, die Taviani-Brüder, Jim Jarmusch, Spike Lee und viele viele, mittlerweile berühmte Regisseure machten in der "Quinzaine des Réalisateurs" ihren ersten großen Schritt in die internationale Bekanntheit. Diese Nebensektion feierte zum Abschluß des Filmfestivals von Cannes 1998 mit einem Defilee großer Namen bescheiden ihren 30. Jahrgang. Die simple Aufzählung all der bewegenden, epochalen, wunderbaren Filme, die in den letzten Jahrzehnten von der Quinzaine vorgestellt wurden, wäre die geeignetste Beschreibung dieses cineastischen Treffpunkts im Festivalgetöse.

Es begann 1968, in einer Zeit, die vieles (kurzzeitig) veränderte: Die Auswahl für Festivalfilme trafen damals die Lobbys aus Produzenten, Industrie und nationalen Filmverbänden. So lief in Erfüllung des Plans alle zwei Jahre ein russischer Film im erstarrten Programm. Die "Vierzehn Tage der Regisseure" gaben - parallel zum Entstehen neuer Filmströmungen wie der Nouvelle Vague - Qualitäten des einzelnen Werkes wieder den Vorrang. Auch ein spezieller Anspruch an Pluralität wird im jung gebliebenen Programm gepflegt: In der Quinzaine 1998 amüsierte und erschreckte Todd Solondz mit seiner amerikanischen Familiengeschichte "Happiness", Ziad Doueiri ließ libanesischen Bürgerkrieg in "West Beyrouth" aus der Perspektive eines kecken Jugendlichen miterleben, Abderrahmane Sissako entführte mit "La vie sur terre" in ein Dorf Malis, Ana Kokkinos warf in "Head On" die Kinder griechischer Emigranten in den Konflikt zwischen Tradition und dem modernen Leben Australiens. Die Namen klingen noch fremd, denn hier laufen bevorzugt erste Werke. Aber 1974 war auch Scorsese mit seinen Darstellern Robert DeNiro und Harvey Keitel noch unbekannt.

Nicht nur Regisseure, auch Filmländer wurden durch die exzellente Auswahl erschlossen. Der französische Teil Kanadas 1973 mit Denys Arcand, 1978 die Phillipinen mit Lino Brocka, 1984 der erste isländische Film in Cannes und immer wieder Afrika und Asien. Dabei kam auch der damals noch anspruchsvolle deutsche Film zu einem internationalen Renommee. Werner Herzog, Straub/Huillet, Faßbinder, Schlöndorff und Alexander Kluge prägten die Siebziger Jahre mit.

Nach 30 Jahren beklagte Pierre-Henri Deleau, der Leiter der Quinzaine, energisch, daß mittlerweile nicht mehr die Regisseure entscheiden, wo ihr Film gespielt wird. "Cannes ist zum Festival für ausländische Filmverkäufer geworden, ein Kommerzfestival!" Mit "Un Certain Regard" kopierte das Festival die Quinzaine und versucht ihr die Filme wegzuschnappen. "Manche Leute hoffen auf den Wettbewerb und entdecken erst in letzter Minute, daß ihr Film bei "Un Certain Regard" läuft." Auch mit der räumlichen Ausgliederung soll die Quinzaine ins Abseits geschoben werden. Während das große Festival aus dem alten Palais Croisette in den neuen, Bunker genannten Palast umzog, blieb die Quinzaine am alten Ort und zog in das Hotel Noga Hilton. Die selbständige Organisation abseits des großen Festivals ermöglicht eine freundschaftlicher Atmosphäre. Das Publikum - viele Cineasten mit ganz banalen Eintrittskarten - ist merklich jünger.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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