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Paul Auster in Cannes

Im vergangenen Jahr sorgte das Filmfestival von Cannes mit Michael Jackson und den Spice Girls für Aufsehen. Nun, ein Jahr nach dem Fünfzigsten, feiern die ersten Cannes-Tage einen Star ganz anderer Klasse: Nicht kreischende Teenies belagern die Hotels, eher reifere Köpfe bekommen glänzende Augen, wenn "ihr" Paul Auster - zusammen mit seiner ebenfalls schreibenden Frau Siri Hustvedt - seinen ersten eigenen Film vorstellt: "Lulu on the Bridge" lief in Cannes als restlos überlaufene Weltpremiere.

Der ausgezeichnete und geschätzte Schriftsteller Auster, als ehemaliges Jurymitglied mit dem Rummel Cannes bereits vertraut, schrieb schon 1995 zusammen mit Wayne Wang die Brooklyn Stories von "Smoke". Mit dem Rest an Zeit und Filmmaterial drehten die beiden zusammen dann noch "Blue in the Face". Eine ganze Reihe bekannter Gesichter aus diesen Drehs taucht in "Lulu on the Bridge" wieder auf: Harvey Keitel spielt den Saxophonisten Izzy Maurer, der während eines Konzerts angeschossen wird. Daß er nun nicht mehr spielen kann, wirft ihn in eine Lebenskrise und läßt den Film spannende Fragen stellen: Soll Izzy sich freuen, daß er überhaupt noch lebt? Oder hat das Leben an sich keinen Wert - nur das, was man daraus macht? Als Alternative bietet eine reife Schauspielerin (Vanessa Redgrave) an, aus dem Blick der anderen zu treten und sich selbst neu zu entwerfen.

Ein geheimnisvoller Fund unter grausamen Umständen verändert Izzys Leben: Der Stein, der unter seltsamem Stimmengewirr aus einer Reihe von Schachteln geschält wird, schimmert im Dunkeln magisch blau und beginnt zu schweben. Die junge Celia (Mira Sorvino), die Izzy durch den Stein kennenlernt, entdeckt als weitere Wirkung ein bislang unbekanntes Glücksgefühl. Izzy und Celia verfallen einander in einer überschwenglichen Liebe. Da Celia auch noch die Hauptrolle einer neuen Lulu-Verfilmung erhält, scheint die glückbringende Wirkung des Steins erwiesen. Oder stammt er doch aus Pandoras Büchse?

Bevor die Gedankengänge und ungewöhnlichen Ideen nicht mehr interessieren könnten, folgt längst der nächste Szenenwechsel: Izzy - der in seiner naiven Verliebtheit richtig niedliche Keitel - wird durch rätselhafte Gestalten gekidnapt und von einem scheinbar allwissenden Mann befragt. Montierte Auster hier etwa das Jüngste Gericht in eine Gangsterhandlung? Daß William Dafoe, der einst für (Jury-Präsident) Martin Scorsese Jesus verkörperte, die Lebensrechnung Izzys aufmacht, würde dazu passen.

Paul Auster hielt sich bei seinem Regiedebüt nicht an die Regeln, mit dem man einen Film durchgehend packend und kurzweilig gestaltet. Dafür läuft seine moderne, kaum wiedererkennbare Lulu-Geschichte auch in der Reihe "Un certain regard" (etwa: Mit einem besonderen Blick) und erfreute dort mit der frisch unkonventionellen Handlung.

Das Leben als ganz andere Illusion entwarf der amerikanische Science Fiction "Dark City" von Alex Proyas ("Die Krähe") im Festivalpalast außer Konkurrenz. In Tradition von Philip K. Dick, dem Autor von "Blade Runner", werden die Erinnerungen einer ganzen Stadt von Außerirdischen allnächtlich zu Experimentierzwecken ausgetauscht. Als die Täuschung bei John Murdock nicht funktioniert, wird dieser für verrückt erklärt und auch von den bleichen Herren der "Dark City" verfolgt. Die mit viel Tricktechnik aufgebauschte Grundidee behält trotzdem ihren Reiz und läßt am Ende einen unmöglichen Traum mit aller Macht wahr werden. So wie es sich für großes Kino gehört.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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