Berlinale 2005

Festivalberichte von Günter H. Jekubzik und Oliver Schiffers


Die 55. internationalen Filmfestspiele in Berlin
10. - 20. Februar 2005

Schande des Westens - Ruanda

Der Schindler Ruandas

Gnadenlos schrecklich und wichtig: Hotel Ruanda

Berlin. Die Prominenz aus Politik und Kultur feierte im Berlinale-Palast noch, die Filmfestival-Eröffnung mit dem mäßigen Afrika-Histörchen "Man to Man" überstanden zu haben. Wie schön passt das Bild von den zwei Welten - der im Licht und der übersehenen - auch hier, denn nebenan schockte und fesselte schon der Wettbewerbfilm "Hotel Ruanda" mit einer Intensität, die ihn direkt zum absoluten Favoriten der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlins machen.

Das erschütternde Werk von Terry George stellt den Hotelmanager Paul (Don Cheadle) mitten in den Völkermord der Hutu, die im Jahr 1994 eine Millionen Tutsi in Ruanda brutal abschlachteten. Immer hilfsbereit den Großen aus Politik, Militär und Geschäft zur Seite, ignoriert Paul die überdeutlichen Zeichen eskalierenden Hasses. Da hat der Getränkelieferant eine Kiste Macheten im Sortiment: Für ein Paar Cents das Stück von den Chinesen gekauft und später die grausame Waffe des rasenden Mobs. Doch Paul hält sich raus und sammelt wie ein Opportunist Gefallen bei den Mächtigen. Bis die Gewalt der Hutu ausbricht und immer mehr Tutsi aus der Nachbarschaft Schutz suchen, beim "einzigen Hutu, dem sie trauen können". Denn Paul ist mit einer Tutsi verheiratet. In schrecklich ausweglosen Situationen erweist sich der tragische Manager des unwahrscheinlichen Überlebens immer mehr als Retter, der wie Schindler unter den Nazi schließlich über tausend Menschen retten konnte.

Ein Film über solch ein Grauen kann nicht gut ausgehen, doch "Hotel Ruanda" schafft es, das Leiden zu vermitteln und sein Publikum nur bis an die Grenzen des Erträglichen mitleiden zu lassen. Das Gezeigte erschüttert und erzeugt - auch angesichts der gleichen Situation jetzt in Dafur - Wut über die Weigerung westlicher Regierungen zu helfen. Ein Insider erklärt lakonisch, die Belgier hätten als Kolonialherren die Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi ziemlich willkürlich eingeführt. Während die Straßen bis zum Horizont voller Leichen liegen, retten ausländische Truppen nur ihre Landleute, die Ruander sollen sich weiter gegenseitig umbringen, dort gibt es ja kein Öl ...

Nach der wahren Geschichte von Paul Rusesabagina sowie dem Drehbuch von K. Pearson und Terry George wird mal nicht aus der Perspektive eines erfolglos hilfsbereiten Weißen erzählt. (Nick Nolte spielt diese Nebenrolle eines zur Passivität gezwungenen UN-Offiziers zurückhaltend verzweifelt. Joaquin Phoenix und Jean Reno stehen mit ihren Kurzauftritten wohl vor allem für die gute Film-Sache ein.)

Der schmerzhaft packende und in seinem Grauen tief erschütternde Film sollte eigentlich schon im Januar beim Internationalen Festival von Bangkok laufen, wurde aber von Berlin weggeschnappt. Hier trifft er im Wettbewerb auf einen weiteren Beitrag zum gleichen Thema: Die HBO-Produktion "Sometimes in April" von dem renommierten und engagierten Regisseur Raoul Peck erzählt den Genozid aus der Perspektive zweier Hutu-Brüder und bindet auch die noch andauernden Gerichtsprozesse ein. Während "Hotel Ruanda" in Südafrika auf eine florierende Filminfrastruktur setzte, ging Peck das Abenteuer ein, authentisch in Ruanda zu filmen. Die aufgerüttelte Berlinale wartet mit Spannung auf diese hoffentlich ein wenig Not wendigende Aktualität des Weltkinos.