Berlinale 2004
Festivalberichte von Günter H. Jekubzik und Oliver Schiffers
Die 54. internationalen Filmfestspiele in Berlin
5. - 15. Februar 2004
Das Berlinale-Boot ist voll
Berlin. Überfüllte Kinos und überlaufene Kontinente - da gibt es eigentlich keinen Zusammenhang. Nur manchmal trifft beides doch aufeinander und dann nennt man es Berlinale.
"Das Boot ist voll" - so titelte ein Schweizer Film über Einwanderung 1981. Dessen Restauration wurde nun mit einer Sondervorführung gefeiert, was der Entwicklung unserer Welt höhnt. Mit unschöner Regelmäßigkeit taucht Immigration weiterhin als zunehmend brisantes Thema auf. Im letzten Jahr mit Winterbottoms Siegerfilm "In this world" und 2004 mit der erschütternden Odyssee "Beautiful Country" von Hans Petter Mola, in der ein junger Vietnamese durch die Hölle gehen muss, um seinen amerikanischen Vater in Texas zu finden. Dieser Wettbewerbsfilm ist ein erster Geheimtipp für den Friedenspreis der 54. Internationalen Filmfestspiele Berlins.
Unfriedlich dagegen geht es vor immer mehr Kinos der Berlinale zu: So groß ist das Interesse an den Filmfestspielen, dass es vor überfüllten Kinos zu Handgreiflichkeiten kommt. Oder ist alles eher eine Frage der Verteilung? Womit wir wieder beim Flüchtlingsproblem wären. Der bei jeder Gelegenheit allein unterhaltende Festivaldirektor Dieter Kosslick kann allerdings nicht genug bekommen. Neue Programmplätze und mehr Filme revidieren das Schlankheitsgebot des letzten Jahres. Doch die Konzepte kommen an, so gut, dass sich die Leute vor dem Kino schlagen!
Einige Filme im Wettbewerb verdienten auch tatsächlich diese Aufregung: Etwa das Meisterwerk "Confidences trop intimes". Der neue Film von Patrice Leconte ("Die Verlobung des Monsieur Hire") schickt eine tieftraurige Sandrine Bonnaire statt zum Psychoanalytiker in das benachbarte Büro eines Steuerberaters (Fabrice Luchini). Der ist von seiner neuen Klientin so fasziniert, dass er die Verwechslung verschweigt, als er sie endlich begreift. Das wöchentliche Treffen mit der geheimnisvollen Anne führt zu intimen Geständnissen, die Farben werden heller, die Kleider leichter, so manch verklemmter Reißverschluss der Seele löst sich. Zwei französische Leinwandgötter in einer einfachen Geschichte, bei der alles stimmt, jeder leise Ton, jede vorsichtige Geste bis zum zärtlichen Streicheln der Kamera über die Körper. Perfekt!
Künstlich reduziert und noch einmal den Dogma-Regeln folgend dagegen der dänische "Forbrydelser". Aber dafür mit einem atemberaubenden Thema, fast wie bei Lars von Trier: Annette K. Olesen, die Regisseurin von "Kleine Unglücke", schickt die junge Priesterin Anna zur Neuanstellung in ein Frauengefängnis und konfrontiert sie mit einem anderen Neuzugang. Die stille Kate heilt Drogensüchtige mit Handauflegen und spürt auch, dass Anna schwanger ist, obwohl sich die Frau seit Jahre für unfruchtbar hält. Wie geht eine mitten im modernen Leben stehende Gläubige mit solch einem Wunder um, das - wie sich später herausstellt - von einer Kindsmörderin bewirkt wird? Und wie reagiert Anne als ein möglicher genetischer Defekt diagnostiziert wird? "Forbrydelser" (In Deinen Händen) spitzt religiöse und ethische Fragen in einer dichten Extremsituation zu, erzählt dabei aber mit einer überraschenden Leichtigkeit. Wird es ein Comeback der Dogma-Erfolge geben? Die Preisverleihung am Sonntag wird es zeigen.
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