American Film Market

Filmmarkt am sonnigen Abgrund

Berlin, Rotterdam, Sundance - alles sehr schön. Gute Filme, schlechte Filme, Premieren, Preise, Presse. Aber nach Berlin werden Koffer und Filmdosen gepackt, und ab in den Flieger zum American Film Market (AFM). In Santa Monica, California läuft das richtige Geschäft - so hofft jeder. Eine halbe Milliarde Dollar geht hier Jahr für Jahr bei Productions- und Distributions-Deals über den Tisch! Doch die Stimmung war schlecht beim AFM02, der 22.Ausgabe vom 20.-27.Februar 2002.

"Home of the Independent"
1981 wurde der erste, nur für den Independent-Film reservierte Filmmarkt ins Leben gerufen. Aus ihm erwuchs der Verband AFMA (American Film Marketing Association), die Gegenorganisation zum Majorclub MPAA (Motion Picture Association of America). Die Notwendigkeit eines Filmmarktes ergibt sich aus dem Unterschied zwischen Majors und Independents. Die großen Studios arbeiten trotz Zerschlagungsurteilen immer noch mit ausgeprägten vertikalen Strukturen von Produktion über Verleih bis zum Kinobetrieb. Die "Unabhängigen" jedoch müssen den Käufer suchen und ihm eine bequeme, zentrale Shopping-Umgebung bieten: Den AFM.

Seit dem Start des AFM haben die in der AFMA versammelten Produzenten die Hälfte der Oscars für den Besten Film in ihren Reihen gehabt: Die Auswahl klingt gut - "Ghandi", "Amadeus", "Platoon", "Der letzte Kaiser", "Driving Miss Daisy", "Schweigen der Lämmer", "Der englische Patient", "Shakespeare in Love" ... Allerdings ist von den 35 Firmen, die 1980 den AFM gründeten nur noch eine im Geschäft - "unabhängig" sein ist also auch kein Zuckerschlecken. Trotzdem ist der AFMA ein enormer Marktfaktor: Jährlich sollen die 350 Produktionen der 159 aktuellen Mitglieder 4 Milliarden Dollar im Verleih einspielen.

Der Begriff Independent ist beim AFMA besonders weit gefasst, die meisten Produktionen würde kaum jemand mit dem mittlerweile ausgeleierten Begriff für mutigere und vielfältigere Filme beschreiben. Dementsprechend weit gefächert ist das Profil der AFMA-Mitglieder: Zu den bekanntesten gehören: Alliance-Atlantis, Miramax, Golden Harvest (Hong Kong), HBO, New Line Cinema, NU Image und Rysher. Prominente europäische Mitglieder sind die Cecchi Gori Gruppe (Italien), FilmFour (GB), Fortissimo (NL), Pathe und UGC (beide Fr). Aus dem deutschsprachigen Raum zählen Senator, Atlas Film, Euroarts und die Schweizer Pueblo Film Group zu den "Independents". Zu den Assoziierten Mitgliedern gehört übrigens auch ein Global Player auf dem Gebiet der Filmfinanzierung, die Stadtsparkasse Köln.

Ernstes Geschäft
Während man sich beim Markt in Cannes leger gibt, noch nebenbei ein Festival feiert, sitzt man beim ebenso Sonnen beschienenen AFM tatsächlich im steifen Anzug am Hotelpool. Hier MÜSSEN Geschäfte gemacht werden und das bestimmt die Atmosphäre. 7000 Akkreditierte von über 250 Filmfirmen aus 70 Ländern tummeln sich in Santa Monica an der Pazifik-Küste. Dass der vergnügliche Strand mit dem Pier unter einer steilen, von Erdrutschen vernarbten Klippe liegt, trifft die AFM-Stimmung. Die Marktlage ist eng, nicht nur die Firmen des Neuen Marktes können den Abgrund riechen.
Doch das nicht gerade bescheidene Loews Hotel, das AFM-Zentrum am Ocean Drive ist auf acht Etagen ausgebucht. Aus den Zimmern werden Büros und Screening-Rooms. Mit hundert Vorführungen täglich auf den 23 Leinwänden von Santa Monica breitet sich der Markt über die Stadt in Sichtweite von Los Angeles aus. Selbst in den Shuttle-Bussen wird man von Trailern beglückt, deren Filme man niemals sehen will. Denn AFM ist alles andere als ein Fest(ival) des guten Films. Den muss man mit der Lupe suchen. AFM ist ein ernstes Geschäft und macht einem Kunst freudigen Filmkritiker knallhart die Realitäten der Ware Film klar: Hier wird all der Schund gehandelt, der die hehre Filmkunst mitfinanziert. Nur 2 von 10 Filmen die fertig gestellt werden, kommen ins Kino, der Rest ist für den Video- und DVD-Markt. Circa mehr als 400 Filme werden gezeigt, Zweidrittel von ihnen sind englischsprachig.

Feiern und verkaufen
Auch beim AFMA dürfen Preise und Ehrungen nicht fehlen: Im zweiten Jahr gibt es den "AFMA-Lifetime Achievement Award". Cameron Diaz und Peter Jackson überreichten ihn Robert Shaye. Shaye ist Gründer der Produktionsfirma New Line Cinema, die seit 35 Jahren im Geschäft ist. Momentan leitet er New Line Cinema als Vize-Vorsitzender und hatte 2001 ein besonders erfolgreiches Jahr: Mit "Herr der Ringe" und "Rush Hour 2" waren zwei Produktionen unter den US-Top 5. Pünktlich zur Auszeichnung ging der neue Denzel Washington "John Q." an die Spitze der Charts.
In 35 Jahren produzierte Shaye Filme in der Spannweite von Werner Herzog bis zu "Ninja Turtles". 1990 übernahm die Abteilung "Fine Line Features" den anspruchsvollen Film und bescherte den Kinos solche Highlights wie Lars von Triers "Dancer in the Dark", Cronenbergs "Crash", Woody Allens "Deconstructing Harry", Egoyans "The Sweet Hereafter".
Nicht nur diese Veranstaltung zog zahlreiche Stars an. Die Nähe zu LA macht es einfach, reihenweise Gäste aufzufahren, die alle ihre irgendeine Werbeschiene fahren. Nicolas Cage etwa gab eine Party, um etwas Rummel um seine erste eigene Regie zu machen - der Film "Sonny" soll möglichst bis Cannes fertig werden.

Dazwischen
Der AFM ist Schnittmenge des asiatischen beziehungsweise des lateinamerikanischen Marktes mit dem europäischen. Aber der AFM liegt auch zwischen Berlinale respektive Sundance und Cannes. Hier werden Verkäufe abgeschlossen, die schon vorher angebahnt wurden. Doch vor allem wird Vorarbeit geleistet. Wenn auf den Gängen allseits über ein schlechtes Jahr geklagt wird, lässt sich erst Wochen nach dem AFM wirklich Bilanz ziehen. Doch alt gediente AFM-Besucher meinten, es sei der ruhigste Markt in seiner 22-jährigen Geschichte. Der Trend geht dahin, immer mehr auf Basis von Scripts und Ideen einzukaufen. Der Film wird erst in einigen Monaten fertig sein. Und in einigen Monaten ist Cannes ...

Die Zahlen weisen nach unten: 1561 Käufer drängelten sich im Jahr 2000 um die Filme, heuer waren es nur noch 1324. Nur einzelne Gebiete boomen noch. Etwa Korea: Die Verleiher folgen dem Trend der Festivals, dem Land besondere Aufmerksamkeit zu schenken und zwei koreanische Filme wurden sogar von Major aufgekauft. Traditionell stark vertreten sind die französischen Filmfirmen. Das deutsche Geld macht immer noch von sich reden, allerdings auch auf Panels, die das Versiegen ausländischer Finanzierungsquellen beklagen. Das ist noch kein Erdrutsch, aber die Klippe ist nah.

Vor allem ganz Derbes oder sehr renommiertes lief in diesem Jahr gut: In diesem Umfeld wirkt ein Film wie Oscar Roehlers "Suck my dick" sehr befremdlich - zumindest der Titel ist wohl oft fehl interpretiert worden. Die Bavaria konnte mit "Tattoo" den Action-Markt bedienen, traf aber auch auf großes Interesse an dem deutschen Berlinale-Erfolg "Halbe Treppe", einem spartanisch gedrehten Schauspielerfilm. Man sollte also nicht zu sehr über die Einkäufer lästern, denn auch eine vor Jahren für den Oscar nominierte Caroline Link blieb ihnen im Gedächtnis - "Nirgendwo in Afrika" wurde deshalb verstärkt nachgefragt. Wie alle guten Geschäftsleute in schlechten Zeiten hielten sich die Verkäufer bedeckt. Sie sagten lieber nichts als von wenig zu reden.

AFM wird IFM?
Gründe genug für AFMA über ihren Markt nachzudenken. Überlegt wird die Einführung eines parallelen Festivals, die aktuellen öffentlichen Vorführungen von erbärmlichem Schund kann das Publikum nur dazu bringen, niemals wieder einen Film sehen zu wollen. Auch wird an eine Öffnung des AFMA für Produzenten von nicht englischen Filmen gedacht. Bislang ist es ein Verband für Unabhängige, die englisch-sprachige Filme für den internationalen Markt verkaufen. So sind unter den 159 Mitgliedern nur circa 40% ausländische Firmen.

Bei den internationalen Verkäufen des Verbandes spielen Deutschland und Österreich - AFMA fasst beide Verleihgebiete ebenso zusammen wie Frankreich und Belgien! - mit über 440 Mio $ die größte Rolle. Das sind fast 17% der Auslandsverkäufe, Europa nimmt insgesamt fast 62% des Geschäftsvolumens ab, allerdings fallen davon nur knapp über 3% auf Osteuropa. Das Fernsehen nimmt nahe zu die Hälfte der Produktionen ab, Kino und Video teilen sich den Rest im Verhältnis 3 zu 2. (Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2000.)

Wenn Änderungen stattfinden, hieße der American Film Market dann vielleicht mal International Film Market? Keine Chance - noch immer grummeln einige nationalstolze Mitglieder, dass nach der Imagekampagne vor einigen Jahren der Namensteil "American" nicht mehr ausgeschrieben wird. So schlecht kann es dem AFM gar nicht gehen, dass man un-amerikanisch werden würde. Das Lied für den tapferen Verkäufer lautet: It never rains in Southern California - nur dunkle Wolken gibt es schon mal.

http://www.afma.com


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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