Exotica
Von Günter H. Jekubzik
Anfangs ist alles exotisch in diesem Film: Der Dschungel des "richtigen Lebens" draußen erscheint ungemütlicher als die absurde Scheinwelt des "Exotica", einer Stripbar in Toronto. Francis, der Steuerprüfer, lädt sich allabendlich Christina, eine "Lolita" an seinen Tisch. Nur schauen, nicht anfassen, lautet das Gesetz des Clubs. Trotzdem berühren sich Francis und Christina über Gespräche, in denen er die Beschützer-Rolle für "das Schulmädchen" übernimmt. Hinter den einseitig verspiegelten Kulissen verfolgt der Animateur Eric eifersüchtig das Spiel seiner ehemaligen Freundin.
"Exotica", die Exoten, zahlen für jede Beziehung, jeden Moment der Menschlichkeit. Das höchste Glück tritt ein, wenn zwei verwundet Einsame mit ihrem künstlichen Trost- und Schutz-Inszenierungen zueinander finden: Der väterliche Francis und die als Kind vernachlässigte Christina. Aber wie sagt der Tierhändler Thomas, der in einem der dunklen Gänge des Films seine illegalen Geschäfte verheimlicht: "Exoten sind zäh".
Es ist typisch für die Filme Atom Egoyans, des in Ägypten geborenen Kanadiers armenischer Abstammung, daß sich Zusammenhänge erst langsam ergeben. Alle Figuren, deren Handlungsstränge diesmal ungewöhnlich schnell zueinander finden, sind seltsam bis exotisch und haben einen Vogel: Ein grüner Papagei sitzt überall herum.Erlösend gegenüber den düsteren, verstellten Innenräumen wirken Szenen eines wogenden Grasmeers. Diese Erinnerung Erics führt jedoch zum grausamen Knotenpunkt dreier Geschichten, der die kaum auslotbaren Verwundungen erklärt.
"Exotica", nach "Familienbilder" oder "Der Schätzer", auch formal Egoyans bislang zugänglichster Film, bleibt mit seinem dichten Geflecht aus Verweisen und Rückblenden trotzdem verstörend, anrührend und eindringlich. Großen Anteil hat die Exotik von Mychael Dannas Musik mit ihren orientalischen Einflüssen (Soundtrack bei Varese Sarabande).
Das "Ego" (Ich) im Namen Egoyan verweist auf ein sehr persönliches Filmen. Ähnliche Atome seiner Geschichten lassen sich seit frühen Kurzfilmen immer wiederfinden. Auch seine Lebenspartnerin Arsinee Khanjian ist meist bei Egoyan zu sehen, diesmal als schwangere Clubbesitzerin Zoe.
Der sehr bedeutungsschwangere Film bietet seinen hoffnungslosen Figuren gleichwohl Trost: Als Francis das Tabu der Inszenierungen bricht, fallen die Traumrollen auseinander und die Leidenden finden sich am wahren Grund ihres Schmerzes.
Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik
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