Code 46

GB 2003 (Code 46) Regie: Michael Winterbottom mit Tim Robbins, Samantha Morton, Togo Igawa, Nabil Elouhabi 92 Min.

Meist dekorieren Science Fiction-Filme altbekannte Muster mit futuristischer Ausstattung und fertig ist die uninteressante Zukunft. Nicht so Winterbottom, dieser geniale britische Regisseur, der mit mindestens einem Film pro Jahr überrascht, immer neue Themen und Bilder findet, mit "Code 46" sowohl ethisch als auch erzählerisch atemberaubend weit voraus blickt.

Ein leichtes Spiel für William Geld (Tim Robbins): Dank eines Empathie-Virus gelangt er ebenso schnell in den Hochsicherheitstrakt wie in die Gedanken der Mitarbeiter. Einer von ihnen fälscht "Papelles", Identitäts- und Zugangskarten der Zukunft. Nur diese kleinen Fahrscheine ins Glück entscheiden an den Grenzen der Megastädte, wer rein darf und wer draußen bleiben muss. Denn die einen stehn im Dunkeln und die andern stehn im Licht. Ein leichtes Spiel, wenn sich William nicht auf den ersten Blick in die Diebin Maria Gonzales (Samantha Morton) verlieben würde und einen anderen als Fälscher auswiese. So verbringt der Reise-Detektiv seine Nacht in Shanghai mit der jungen Frau, die gerade Geburtstag hat und nicht wissen will, wie ihr jährlich wiederkehrender Traum sich heute auflöst.

Selten teilte das Schicksal seine Karten mit so viel Heimtücke aus wie bei "Code 46": Oedipus ist ein Waisenknabe gegen diesen William Geld. Als Maria verschwindet, forscht William ihr unprofessionell und leidenschaftlich nach, entdeckt sie in einer Abtreibungsklinik, wo sie wegen Code 46 zwangsbehandelt wurde. Weil ihre Frucht von zwei Personen mit genetisch verwandtem Material stammte. Mit dem Embryo wurde auch ihr Gedächtnis an Liebesakt und Erzeuger entfernt. Jetzt befreit William nicht nur seine Liebe, die sich nicht mehr an ihn erinnert, er entdeckt auch noch bei einem ambulanten Schnelltest, dass Maria ein Klon seiner Mutter ist, die er als Invitro-Kind nie kennen konnte ...

Der packende Liebesthriller ist in keinem Moment trockenes Ethik-Pamphlet wie Schübels "Blueprint". Von den ersten, atemberaubenden Bildern an packt Winterbottom ("In this world", "The Claim"), dazu geniale Musik ("Should I stay or should I go" in der Karaoke-Version) und dann die Besetzung: Samantha Morton  ("In America", "Minority Report") sehen, ist immer ein Genuss, diesmal spielt sie zeitweise auch sehr erotisch, verweist zu Winterbottoms "9 Songs", der an die Grenze zu Pornografie geht. Morton wirkt gleichzeitig energiegeladen und extrem empfindlich, zierlich gegenüber dem Riesen Tim Robbins. Sein hinter der smarten Fassade harter und müder Spezialist ist der klassische Detektiv, der bei den Nachforschungen auf sich selbst stößt, sich selbst verliert und als neuer, geläuterter Menschen wieder findet - meist irgendwo in der Gosse oder außerhalb seines üblichen Lebens. Aber Winterbottom wandelt auch diesen Topos überraschend. So darf man "Code 46" mit Truffauts "Fahrenheit 451" zusammen nennen, und mit einer anderen Geschichte von Liebe in asiatischen Metros und Metropolen an Wong Kar-Wais "2046".


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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