Die Bettlektüre

GB/NL/Fr 1996 (The Pillow Book) Regie Peter Greenaway, 123 Min.

Wer schreibt, der bleibt!

Die Feder ist mächtiger als das Schwert - wie Kunst mit ihren betörenden Mitteln die Macht besiegt, zeigt der Intellektuelle unter den Künstlerregisseuren: Peter Greenaway. Mit der gleichen avantgardistischen Bildtechnik die er mit "Prosperos Bücher" einführte, erzählt er eine Geschichte, die allein schon Appetit auf Kino macht.

Der Pinsel streicht akzentuiert mit roter Farbe über das asiatische Kindergesicht. Geheimnisvolle Schriftzeichen bilden den Geburtstagsgruß des Kalligraphen für seine Tochter Nagiko. Mit den gleichen Worten beschrieb der Schöpfer seine Tonfiguren und hauchte ihnen mit einer Signatur im Nacken Leben ein. Diese Prägung wird Nagiko nie abwaschen können. Sexualität bleibt für die schöne Frau immer mit Schrift auf Haut verbunden. Erst sucht sie Erfüllung bei den besten Kalligraphen der Welt, dann - nachdem die ruhelos nach Liebe Suchende den Übersetzer Jerome traf - verziert sie selbst Körper mit wunderschönen Zeichen und Geschichten.

Um ihren Stoff zu verkaufen, bietet Jerome dem mächtigen Verleger auf bemalter Haut das "Erste Gedicht" eines Zyklus erotischer Poesie an. Doch der Mann, der Bücher verkauft, ist der gleiche, der schon Nagikos Vater mißbrauchte. Dies unmoralische Monster verehrt und verzehrt die Schönheit, eine Katastrophe folgt unweigerlich ...

"Die Bettlektüre" vom Maler, Denken und Filmemacher Peter Greenaway ist das Schönste und Klügste, was weit und breit zu sehen ist. Eine wahnsinnige Geschichte von Leidenschaft und Schrift, die unter die Haut geht! Stilleben schweben in Harmonie. Auf verschiedenen Ebenen breitet Greenaway die Schönheiten und Geheimnisse der Schriften aus. Das Auge gleitet zwischen den Bildern, die sich mit Leichtigkeit der Linearität des Erzählkinos entledigen. "Die Bettlektüre" von Nagiko bildet das 1000 Jahre alte "Kopfkissen-" und Tagebuch einer Hofdame. Es durchwebt und verziert die heutige Story.

Die Entstehung eines Buches wird zum Krimi - das Geheimnis des Buchmachers. Handwerkliche Traditionen wie das Herstellen von Pergament aus Häuten bereichern das Universum dieses Film ebenso wie Gedanken zu modernen Geschäftspraktiken. Und wie "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" teilt auch "Die Bettlektüre" einen brutalen Hieb an die herrschende (Kultur-) Politik aus: Wer sich wunderte, was ein Wagen mit Fleischabfällen vor dem Verlegerhaus zu suchen hat, erfährt später, wie Autoren ausgenommen werden - im körperlichsten Sinne des Wortes. Trotzdem hat "Die Bettlektüre" nichts mehr von den schockierenden Blutszenen, die "Das Baby von Macon" kontrastierten. Eine rituelle Hinrichtung wird im Bild nur angedeutet und gestisch stilisiert.

Auch hier also eine Zurücknahme der barocken Bildpanoramen früherer "Greenaways". Ganz bewußt ließ der Meister die Traditionen japanischer Malerei und Cinematographie in die Arbeit des bewährten Kameramannes Sacha Vierny einfließen. Die Reduktion tut gut: Noch immer quellen die Bilder über vor Schönheit und Ideen. Aber das Gleichgewicht mit der emotionalen Story ist wiederhergestellt. Man kann sich erneut uneingeschränkt für Greenaway begeistern!

Günter H. Jekubzik


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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