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Rheingold (2022)

Deutschland, Italien, Niederlande, Frankreich 2022, Regie: Fatih Akin, mit Emilio Sakraya, Mona Pirzad, Kardo Razzazi, 138 Min., FSK: ab 16

Der neue Kinofilm des begnadeten Hamburger Regisseurs Fatih Akin („Aus dem Nichts“) ist kontrovers – schon in sich selbst: Eine Musiker-Biografie mit recht wenig Musik, ein stellenweise bewegendes Flüchtlingsporträt und dazu in einigen Momenten witzig gemeinte Gewalt-Exzesse wie bei Quentin Tarantino. Trotzdem ist „Rheingold“ mehr als nur routinierte Biografie des kurdisch-stämmigen Rappers Giwar Hajabi alias Xatar, auf dessen autobiografischen Roman „Alles oder Nix“ der Film basiert.

Das Gefängnis ist Giwars erste Erinnerung und so scheint es nur konsequent, dass er wieder im Gefängnis landet: Der erwachsene Giwar Hajabi landet in einer völlig überfüllten irakischen Zelle. Selbst hier gibt es Grenzen und Regionen, der Kurde muss in die Ecke zu seinen Leuten. Schon als Kind musste er im irakischen Gefängnis erleben, wie sein Vater blutend und zerschnitten nach der Folter zurück in die Zelle kam. Der war berühmter Komponist und Dirigent im Iran, musste vor der Gewalt der Religiösen fliehen. Eine kurze, heftige Szene zeigt die mörderische Übernahme der Barbaren, wenn sie in ein Konzert eindringen und die Kultivierten erschießen. Danach wurde Giwars Mutter Heldin im bewaffneten Kampf der Kurden, gebar den Sohn allein in einer Höhle, während um sie Granaten einschlugen. Das Gefängnis war dann eine Zwischenstation auf der Emigration über Paris nach Bonn.

Der erwachsene Giwar machte nach einer kriminellen Karriere im Getto von Bonn inzwischen seine eigenen Erfahrungen mit dem Knast, doch das Wiedersehen mit schwedischen Gardinen des Irak hat keinen politischen Hintergrund, der Folterer äußert sogar Sympathien mit dem Kurden. Allerdings will er unbedingt wissen, wo das Gold versteckt ist, das der zum Xatar Gewandelte in einem Raubzug erbeutete. (Xatar ist die kurdische Bezeichnung für „Gefahr“.) Dieses „Rheingold“ wird mit einer Wagner-Ouvertüre zum Leitmotiv.

Es ist eine wilde Geschichte, die der erfolgreiche Rapper Xatar in seiner Biografie „Alles oder Nix“ erzählt. Idealer Filmstoff und Fatih Akin gelingt es, in einem lebendigen Hin und Her gleichzeitig die vielen Ereignisse packend darzubieten und als formend für die Person Xatars aufzuzeigen: Vom mittlerweile wieder als Dirigent arbeitenden Vater wird Giwar zum Klavierspiel gedrängt. Doch dass seine Mutter, einst Musikantin, für die Klavierstunden putzen muss, macht den Jugendlichen zum Dealer. Die erste heftige Prügel, die er einstecken muss, führt zu einer Veränderung von Körper und Mentalität. Xatars brutale Rache ist eine Gangster-Bio von Scorsese in Kurzform. Ohne dass noch wirklich viel in Giwars Kopf passiert, werden in Folge nur Drogen-Mengen und Ego größer. Zwar gibt es immer wieder ein Interesse des raffinierten Geschäftsmannes am Rap, nebenbei wird Schwesta Ewa in einem Bordell entdeckt. Doch was Xatar berühmt gemacht hat, das erste, im Knast aufgenommene Album, ist auf die letzten fünfzehn Minuten komprimiert.

Fatih, der im Jahr 2008 die Karlsmedaille für Europäische Medien zusammen mit dem französischen Regisseur Abdellatif Kechiche erhielt, hat sich in seinen Filmen ebenso engagiert und klug mit Gewalt von Radikalen beschäftigt wie mit Literaturverfilmungen für gemischte Reaktionen gesorgt. „Der goldene Handschuh“ (2019), die Hamburger Serienmörder-Geschichte nach dem Roman von Heinz Strunk, schockierte mit extremen Szenen und Morden. Gleichzeitig begeisterte das genau gestaltete und gespielte Milieu um die Szene-Kneipe des Titels. „Aus dem Nichts“ (2017) beschäftigte sich mit Diane Kruger in der Hauptrolle eindringlich mit den Folgen des vom „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verübten Kölner Bombenanschlags, ähnlich wie „Atlas“ in dieser Kinowoche. Auch das Meisterwerk „Auf der anderen Seite“ (2007) drehte sich um Terror und Tod. Bei den Internationalen Filmfestspiele von Cannes 2007 gab es dafür den Preis für das beste Drehbuch und den Preis der Ökumenischen Jury.

Frühere Erfolge wie „Kurz und schmerzlos“ (1998) über eine Freundes-Gang aus Einwanderer-Kindern, das italienische Liebesdrama „Solino“ (2002), die griechisch kulinarische Filmkomödie „Soul Kitchen“ (2009) mit Moritz Bleibtreu oder das filmische Erdbeben „Gegen die Wand“ (2004) mit einem überwältigenden Birol Ünel könnte man in die Schublade „Immigranten-Kino“ stecken, hätte sich nicht Akin auch ganz bewusst mit einer enormen Vielfalt dagegen gewehrt.

Der enorm talentierte Fatih Akin kann kaum einen schlechten Film machen. Selbst so gefährliches Terrain wie das Biopic eines Prominenten meistert er mit einfühlsamen Entwicklungsmomenten eines Immigranten-Schicksals. Trotzdem überzeugt „Rheingold“ nicht durchgehend: Wiewohl klasse gespielt, inszeniert und montiert sind die Gangster-Geschichten mit den Tarantino-Brutalitäten Leerlauf für die interessantere Figur. Die Xatar-Fans wird das nicht stören, sie hätten allerdings mehr Musik ihres ambivalenten Idols erwartet.


Ein FILMtabs.de Artikel