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Rimini

Deutschland, Frankreich, Österreich 2021, Regie: Ulrich Seidl, mit Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Hans-Michael Rehberg, Georg Friedrich, 114 Min., FSK: ab 12

So will man Udo Jürgens-Lieder nie sehen … oder doch? Richie Bravo (Michael Thomas) ist ein abgehalfterter österreichischer Schlagersänger, der im winterlich tristen Rimini Rentnerinnen mit seiner Stimme und als Gigolo auch mit seinem Körper verführt. Wir nähern uns ihm und dem Thema „Altern“ von der Heimat Österreich her. In knappen Szenen verabschiedet sich Richie mit seinem Bruder Ewald (Georg Friedrich) nach dem Tod der Mutter mit einem Saufgelage vom alten und altmodischen Haus der Eltern. Der demente Vater Ekkehart (Hans-Michael Rehberg) darbt derweil im Altenheim und versucht in bitteren Szenen verschlossene Türen zu öffnen, auf denen Waldlichtungen und andere geklebte Landschaften Freiheit versprechen.

Richies „Freiheit“, seine Villa in Rimini, wirkt ebenso gestrig wie das Elternhaus. Der Sänger und Gigolo trägt unter dem ständigen Pelzmantel ein Schiesser-Unterhemd und darunter eine Bauchbinde. Der Glanz von lebensechten Postern an den Wänden ist vorüber, nun muss der Schlager-Schleimer seine Villa an Fans vermieten, um seinerseits in einem stillgelegten Hotel zu übernachten. Die Abende mit den Seniorinnen bringen nur noch wenig ein. Plötzlich taucht seine wütende und habgierige Tochter Tessa (Tessa Göttlicher) auf, von der er nichts wusste. Sie will den Unterhalt für die vergangenen Jahre, und zwar sofort. Richie kann nur alles geben, was er hat, und das ist wenig. Das Kennenlernen der wiedergefundenen Tochter bekommt er dafür nicht. Reden über seine Gefühle kann er mit ihr sowieso nicht – es muss eine gecoverte Schlager-Schnulze sein, die für ihn spricht. So wie er schon „Merci, Chérie“ beim Begräbnis der Mutter säuselte.

Regisseur Ulrich Seidl („Tierische Liebe“, „Models“, „Im Keller“, Paradies-Trilogie) bleibt seinem Ruf treu und findet auserwählte Hässlichkeit im normalen Leben. Immer wieder Richies Gänge über einen vernebelten oder verregneten Strand, vorbei an den schwarzen, afrikanischen Flüchtlingen, die gerade auch keine Arbeit haben. Während der Schlager eigentlich nach San Remo gehört, fand Seidl hier einen anderen, in die Jahre gekommenen Strandort, der tatsächlich gerade im Zentrum reizvoll renoviert wurde. Für die vielleicht naive Unterstützung der italienischen Provinz Emilia-Romagna nennt er einen besonders willigen Fan Richies ausgerechnet Emilia.

Während sein Leben wegen Tessas Forderungen immer mehr auseinanderbricht, bleiben die Auftritte mit symmetrischer und fester Kamera-Einstellung ein Fixpunkt. Dabei klopft der Tod mehrfach quasi an der Tür: Beim Sex mit seiner Stammkundin liegt er nebenan in Form von deren hustender, bettlägeriger Mutter. Derweil vergisst der einsame Vater Ekkehart seine Nazi-Sprüche und hört „Winterlieder“, die er auch weinend mitsingt. Wo Michael Thomas die massive und verzweifelte Selbstüberschätzung Richies grandios auf die Leinwand bringt, berührt Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Rolle enorm.

„Rimini“ ist der erste Teil einer, nach „Paradies“ neuerlichen Familien-Trilogie von Ulrich Seidl. Der zweite Teil „Stella“, mit Georg Friedrich als Bruder Richies, ist aufgrund anonymer Anschuldigungen aus Rumänien mittlerweile auf einigen Festivals „gecancelt“ worden.


Ein FILMtabs.de Artikel