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Im Westen nichts Neues (2021)

Deutschland 2021, Regie: Edward Berger, mit Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, 142 Min., FSK ab 16

Die Idylle einer säugenden Fuchs-Mutter in ihrem Bau wird brüsk unterbrochen durch einen brutalen Bombeneinschlag. Das ist schockierend, aber anders als „Der Soldat James Ryan“, bei dem Steven Spielberg 1998 die landenden Soldaten am Normandie-Strand quasi vor der Kamera zerfetzte. Doch auch bei „Im Westen nichts Neues“ wird Blut auf die Kamera spritzen. Regisseur Edward Berger („Jack“) inszeniert eindrucks- und effektvoll Erich Maria Remarques Antikriegs-Roman aus dem Jahr 1930. Der Kriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ läuft ab heute bundesweit in wenigen ausgewählten Kinos und ab dem 28. Oktober weltweit auf Netflix.

Im Frühjahr 1917 kann es der 17-jährige Paul Bäumer (Felix Kammerer) nicht erwarten, mit seinen Freunden in den Krieg zu ziehen. Noch im dritten Jahr des Gemetzels wollen die naiven Schüler unbedingt „auf Paris marschieren“ und fälschen sogar die Unterschrift der Eltern für die Einberufung. „Der Kaiser braucht Soldaten“ – so tönen die prä-faschistischen Kriegshetzer an den Bildungsinstituten, „Auf in den Kampf für Kaiser, Gott und Vaterland!“ Doch für die unvorbereiteten Jugendlichen folgt an der Westfront der Schock: Es regnet in Strömen, der Schützengraben läuft voll, ist ein einziger Morast. Schnell sind die meisten der Freunde von Paul Bäumer gestorben.

Edward Berger macht aus Remarques Roman eine satte Inszenierung, geeignet für die große Leinwand. Anfangs wirkt die Melange aus dem Grün der Uniformen und dem Grau der Landschaft mit einigen Spritzer Rot zu dekorativ, in der Farbskala zu harmonisch für dieses Thema. Doch nach dem ersten Bombenangriff vermischt sich alles zu einem grauen Brei, zu einem Chaos aus zersplitterten Baumstämmen und zerfetzten Körpern, aus Trümmern und Leichen.

Die bildgewaltige und erschütternde „Netflix“-Produktion ist wegen ihres Oscareinsatzes für ein paar Tage in ganz wenigen Kinos zu sehen. Denn um den Regeln der „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ für die Oscars zu entsprechen, muss der Film im Kino gelaufen sein. Der Grund, weshalb das Streaming-Unternehmen diesen voraussichtlichen Publikumserfolg so zögerlich zeigt, liegt wohl an den sinkenden Abonnenten-Zahlen. Ganz anders noch als bei „The Gray Man“ oder dem Oscar-Gewinner „Roma“ von Alfonso Cuaron, die breiter eingesetzt wurden. Einige Kinos bedauern dies, doch eigentlich sind es nur bekannte US-amerikanische Verhältnisse: Dort wurden Oscar-Kandidaten schon immer mal kurz in drei Hollywood-Kinos runtergespielt, um den Regeln zu entsprechen.

Nach der Bekanntgabe, dass „Im Westen nichts Neues“ die deutsche Oscar-Einreichung sein wird, wunderte man sich: Hatte doch noch kaum jemand den Film gesehen. Aber nun ist klar, dass nicht nur die deutschen Trumpfkarten Krieg und Völkermord blind gesetzt wurden. Bergers Verfilmung ist zutiefst erschreckend, umso mehr wegen der Aktualität des neuerlichen russischen Krieges. Wir sehen grausame Kriegsverbrechen mit abgefackelten Kriegsgefangenen, unter Panzern zerquetschte Körper. Und besonders unerträglich, den Protagonisten Paul Bäumer zusammen mit dem Franzosen, den er gerade abgestochen hat und der noch endlos röchelt, alleine in einem Granattrichter. Nach dem Tod des Gegners offenbart dessen Brieftasche den Menschen mit Familie. Was auch den Mörder schockiert. Der neue „Im Westen nichts Neues“ ist jedoch trotzdem kein wirklicher Antikriegs-Film, weil wir nur auf der Seite der Deutschen stehen.

Autor Erich Maria Remarque (1898-1970) wurde selbst im November 1916 eingezogen. Bereits Ende 1917 brachten ihn Verwundungen in eine Schreibstube. Sein Anti-Kriegs-Roman „Im Westen nichts Neues“ erschien 1929 und führte zur Verfolgung durch rechte Kräfte. Eine erste Verfilmung gab es schon 1930 vom US-amerikanischen Regisseur Lewis Milestone.

Im Vergleich zum Roman gibt es drei große Änderungen: Den Prolog mit der Füchsin und eine Geschichte vom anonymen Soldaten, der im Weltkrieg ums Leben kommt. Die wichtigste ist die ergänzte Ebene der „großen“ Politik bis zu den Waffenstillstandsverhandlungen vom November 1918 in einem Eisenbahnwagon im Wald bei Compiègne. Die zeigt einerseits die Skrupellosigkeit der Kaiserlichen Regierung und der deutschen Heeresführung um General Friedrichs (Devid Striesow). Und als Feigenblättchen einer versagenden Politik den deutschen Unterhändler, der liberale Abgeordnete Matthias Erzberger (Daniel Brühl), der angesichts von „40.000 Toten in den letzten Wochen“ den Krieg als verloren ansieht und mit dem französischen Marschall Foch einen Waffenstillstand verhandelt. Schließlich stirbt Paul Bäumer am 11. 11. 1918 um 11 Uhr, also in der Minute des Waffenstillstandes.

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Neben Albrecht Schuch, Daniel Brühl, Aaron Hilmer, Devid Striesow, Edin Hasanovic, Michael Wittenborn und Sebastian Hülk in größeren wie in kleineren Rollen beeindruckt der 25-jährige Wiener Felix Kammerer in der Hauptrolle des Paul Bäumer. Der Leinwandneuling ist seit 2019 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters.


Ein FILMtabs.de Artikel