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Weinprobe für Anfänger

Frankreich 2022 (La Dégustation) Regie: Ivan Calbérac, mit Isabelle Carré, Bernard Campan, Eric Viellard, 92 Min., FSK: ab 12

Liebestrunken! Kein Wort kann den Zustand der lebenslustigen Hortense (Isabelle Carré) besser beschreiben, nachdem sie bei der Eucharistie-Feier einen ganz speziellen Wein gekostet hat. Fast hätte sie ihn ignoriert, jedoch selbst der Priester stimmte in ihre Begeisterung mit ein: „Der ist aber gut!“ Nach dieser Epiphanie will sie mehr vom guten Stoff. Beim nicht nur wegen der Ignoranz der meisten seiner Kunden mürrischen Weinhändler Jacques (Bernard Campan) schaut sie erst tief ins Glas, dann tief in seine Augen. Schnell ist es um die beiden im besten Reifegrad geschehen, auch wenn Jacques zurückhaltender reagiert. Denn er hat wegen zu viel Alkohol ganz andere Herzprobleme, wehrt sich aber anfangs gegen die vom befreundeten Arzt verordnete Gruppe Anonymer Alkoholiker.

Dass die (Literatur-) Verfilmung der ursprünglichen, mit dem französischen Theaterpreis Prix Molière ausgezeichneten Boulevardkomödie, zur romantischen Verwirrung statt zur Erfüllung führt, wirkt in diesem Fall nicht aufgesetzt. Es ist schon ein Vergnügen, beiden recht einsamen Menschen beim Alltag zuzusehen: Hortense verbringt die Freizeit allein mit ihrer Katze, während Jacques auch allein abends noch ein Glas kippt. Die tägliche Menge an Wein misst er bei den Anonymen Alkoholikern nicht in Gläsern, sondern in Flaschen!

Die anders weinselige Single-Frau veranstaltet derweil mit den Obdachlosen, die sie für ihre Kirche betreut, witzige Weinproben. In großer Erwartung der echten Dégustation vom plötzlich enthaltsamen Fachmann. Da die Filmemacher dem spritzig aufspielenden Paar wohl nicht ganz getraut haben, kommt noch Jacques‘ Praktikant hinzu. Der arabischstämmige Jugendliche Steve (Mounir Amamra) am Rande der Kriminalität oder das obligatorische Trauma aus der verheimlichten Vergangenheit liefern ein paar zu gewöhnliche Klischees. Dabei erfreut die „Weinprobe für Anfänger“ eigentlich mit ungewöhnlich kritischen und spöttischen Blicken auf den elitären Kultus des sich mit auserlesenem Vokabular Betrinkens. Komisch ist auch wie treffend der ansonsten völlig ungehobelte Steve exakt Fruchtnoten und sonstigen Firlefanz aus den Weinproben herausschmeckt und benennt.

In solchen, besten Momenten und in der Lässigkeit von Jacques erinnert die französische Liebeskomödie an „Sideways“ von Alexander Payne. Neben kurzen bildlichen Perlen, wenn etwa Da Vincis „Das Abendmahl“ mit den trinkenden Obdachlosen zitiert wird, zeigt vor allem der Dialog, weswegen hier Theaterpreise eingeheimst wurden. Nach seinem Erfolg „Frühstück bei Monsieur Henri“ gelingt Regisseur Ivan Calbérac diesmal eine richtig runde Komödie. Hortense und Jacques wirken sehr normal, zeigen ein natürliches Misstrauen mit ganz alltäglichen Missverständnissen. Das macht eine sympathische Komödie aus, selbst wenn ab und zu mal ein paar Umdrehungen zu viel in Richtung Slapstick und Zote gehen. Wenn der gute Doktor Jacques nach dem Herzinfarkt ein Stethoskop schenkt und meint: „Hören Sie mal öfter auf ihr Herz!“, dann ist man nachhaltig versöhnt.


Ein FILMtabs.de Artikel