« | Home | »

Evolution (2021)

Deutschland, Ungarn 2021, Regie: Kornél Mundruczó, mit Lili Monori, Annamária Láng, Goya Rego, 100 Min., FSK: ab 12

Das Triptychon dreier Generationen einer jüdischen Familie ist ein großes Werk von Regisseur Kornél Mundruczó („Pieces of a Woman“) und Drehbuchautorin Kata Wéber, das 2019 als Theaterstück auf der Ruhrtriennale uraufgeführt wurde: In der schauerlichen, unheimlich starken Eröffnungsszene sehen wir das entsetzte Staunen von Reinigungskräften in einer dunklen Kammer. Sie finden Haarsträhnen im Putz und Duschköpfe an der Decke. Der reale Horror der Gaskammern endet mit dem wundersamen Fund eines Kindes in der Kanalisation. Die Männer verlassen mit dem schreienden kleinen Wesen den Raum und wir erkennen, dass sowjetische Soldaten gerade das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit haben.

Jahrzehnte später streitet diese Éva (Lili Monori) als alte, demente Frau mit ihrer Tochter Léna (Annamária Láng) über deren Leiden als Kind einer Holocaust-Überlebenden, von welcher die Härte des KZs erwartet wurde. Léna braucht die mühsam erworbene Geburtsurkunde Évas, um einen Kindergartenplatz für ihren Sohn Jónás (Goya Rego) zu bekommen. Doch Éva meint, „Ich schlage keinen Vorteil aus der Tragödie“. Worauf Léna verzweifelt „Wir waren jüdisch, als wir es nicht sein durften, und jetzt wo wir es dürfen, sind wir nicht jüdisch?“

Dem raffiniert gefilmten Kammerspiel über das Psychodrama einer Kindheit in Habacht-Stellung und dem Problem, die wahren Erinnerungen zu erkennen, folgen ganz andere Probleme der nächsten Generation. Jónás ist früher zuhause, weil die Mitschüler seine Martinszug-Laterne angezündet haben. Die hat seine Mutter unbedingt als Hanukkah-Lampe gestalten müssen, obwohl der zierliche Junge sowieso gemobbt wird. Realsatire ist, wie die Lehrerin herumdruckst, um auf keinen Fall das Hassverbrechen anzuerkennen. Während eines wiederum schauerlichen Martinszugs mit einer für Berlin auffällig weißen Klasse ergibt die Flucht des jüdischen Jungen und seiner arabischen Freundin eine wunderschöne Utopie.

Dem in Berlin lebenden ungarischen Paar Mundruczó/Wéber gelingt der große Bogen jüdischer Lebensbedingungen kunstvoll mit verschiedenen Filmformen und frei von Klischees.


Ein FILMtabs.de Artikel