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Bullet Train


USA, Japan 2022, Regie: David Leitch, mit Brad Pitt, Sandra Bullock, Joey King, 152 Min., FSK: ab 16

Der Eröffnungsfilm des 75. Filmfestivals von Locarno ist mit Höchstgeschwindigkeit ins Kino gerast und unterhält mit ironischer Action in der Verfilmung des gleichnamigen Erfolgsromans von Kotaro Isaka. Brad Pitt gibt in „Bullet Train“ einen friedliebenden Killer im Schnellzug voller Kollegen und Rachepläne.

Nein, ein Glückspilz ist dieser Auftragskiller (Brad Pitt) keineswegs – auch der Codename Ladybug, Marienkäfer, bremst die Pechsträhne nicht aus. Das Gegenteil vom üblichen coolen Killer, kommt er frisch vom Therapeuten, lehnt Pistolen ab und probiert im Nahkampf, dessen Weisheiten an den Mann zu bringen. Er will erst mal reden, aber ist damit der Einzige. Trotzdem hält sein „Handler“ Maria Beetle (Sandra Bullock) zu ihm und hat einen neuen Auftrag: Er soll im schnellsten Zug der Welt, Japans Bullet Train, nur einen Aktenkoffer stehlen und dann an der nächsten Station wieder aussteigen. Doch dieser Zug, schnell wie eine „Kugel“ (Bullet) wird bald zu einem Transportmittel voller Kugeln. Ein „Bullet Train“ in anderer Hinsicht.

In den sechszehn Waggons, die in Höchstgeschwindigkeit durchs Land rasen und vor allen zum Ende hin Auflösungserscheinungen zeigen, befinden sich neben Ladybug noch mindestens fünf weitere Killer und eine Giftschlange. Wespe, Wolf, Tangerine, Lemon und Prince lauten die schillernden Namen und alle bekommen in kurzen, flotten Rückblenden zu japanischen Song-Covern ihre Vorgeschichte. Tarantino-mäßig gibt es in der ersten Hälfte mit den Einführungen skurril witzige Dialoge. Ein Killerpaar streitet sich über die Decknamen Lemon (Brian Tyree Henry) und Tangerine (Aaron Taylor-Johnson), sowie die Weisheiten von Lemon, der das ganze Leben mit seinen Erfahrungen aus der Kinderserie „Thomas, die kleine Lokomotive“ betrachtet. Er verteilt auch Kinder-Sticker im Bullet Train, die auf einen mysteriösen Killer hinweisen. Genauso „nett“ wie diese Gespräche sind Auflistungen von siebzehn blutigen Morden, klasse montiert zu einem luftigen Song. Auch der mexikanische Killer Wolf (Bad Bunny) bekommt eigentlich nur ein Song und eine Action-Einlage als Kurz-Auftritt.

Es ist schwer zu übersehen, dass Regisseur David Leitch von Stunt-Fach kommt. Er begann als Stuntman, Fight Choreographer und Stunt Coordinator, bevor er die Regie übernahm. „Fast and Furious Presents: Hobbs & Shaw“, „Deadpool 2; Atomic Blonde“ und „John Wick“ (ohne Credits) sind seine bisherigen großen Regie-Erfolge. Die Action des erfahrenen Routiniers auf diesem Fach entwickelt sich in „Bullet Train“ anfangs auf gezwungenermaßen engem Raum sehr raffiniert. Sogar im Stil des 9-Eurotickets ganz beengt auf zwei Sitzen in einem lauten Ruheabteil. Was wie alles Hauen und Stechen in „Bullet Train“ auch immer sehr komisch abläuft. Humor, der schon in der Spannweite von blutrünstigen Killern zu „Thomas, die kleine Lokomotive“ steckt. Alle Passagiere, die letztlich übrigbleiben, haben eine Verbindung zum Psychopathen White Death (Michael Shannon) aus Russland, der sich zum nicht nur in Japan gefürchteten Boss emporkämpfte. Und der wartet mit seiner japanischen Mafia am Zielbahnhof in der vorerst noch intakten alten Stadt Kyoto.

Channing Tatum hat einen grandiosen und scharfen selbstironischen Cameo-Auftritt. Sandra Bullocks wenig überraschende Erscheinung am Ende ist hingegen eher lahm. Brad Pitt spielt seinen Ladybug, der durch eine Existenzkrise geht, mit dem bekannten Mix aus Lässigkeit und Verwirrtheit. Der Ansatz, seinen Job in Ruhe und Frieden zu erledigen, hat in diesem Metier viel komödiantisches Potential. Am Ende trifft der sanfte Killer sogar auf jemandem, der ihn versteht und die japanische Erklärung für sein Codenamen Ladybug liefert, denn der Marienkäfer ist da kein Glücksbringer. Der „Tentomushi“ trage mit seinen sieben Punkten die sieben Sorgen der Menschen auf seinem Rücken. Doch ernst zu nehmen ist in „Bullet Train“ nichts, selbst die Auflösung des großen Puzzles wird sofort ironisch und mit dem nächsten lauten Knall gebrochen.

Ein fahrender Zug wird immer gerne als Möglichkeit gesehen, die Beteiligten einzuschließen und die Handlung zu komprimieren – siehe „Mord im Orientexpress“ oder ganz modern „Snowpiercer“. Der Metapher der Gesellschaft kann man hier allerdings ganz vergessen, der Spaß an raffinierter Action hat Vorfahrt. „Bullet Train“, der Film zum 9 Euro-Ticket, ist mit einem fast leeren Zug und viel Spaß darin eine völlig unrealistisches und großes Action-Vergnügen.

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Ein FILMtabs.de Artikel