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Nawalny

USA 2022, Regie: Daniel Roher, 99 Min., FSK: ab 12

Für die Nachwelt sei dieser Film gemacht, das legt Alexei Nawalny in der ersten Szene fest, für den Fall, dass ihn jemand umbringt. Man darf nicht drüber nachdenken, was es bedeutet, wenn er jetzt angesichts der scheinbar unendlich verlängerbaren Haft des russischen Oppositionellen erscheint. Denn es fällt schwer, den unerschütterlichen Mut und Optimismus von Nawalny zu teilen, wenn er einem nicht schelmisch im Bild anlächelt.

Die packende Dokumentation von Regisseur Daniel Roher („Once Were Brothers: Robbie Robertson And The Band“) begleitet den Oppositionsführer Alexei Nawalny in Deutschland, nachdem er im August 2020 vergiftet wurde. Bis er aus schwer nachvollziehbaren Gründen am 17. Januar 2021 wieder nach Russland fliegt und sofort verhaftet wird.

In kurzen Szenen werden die raffinierten Reportagen für YouTube skizziert, mit denen der Enthüllungsjournalist Nawalny russischen Oligarchen und Politikern auf die Füße tritt. Für eine dieser Aktionen war er im August 2000 in Sibirien, „nichts Besonderes“ meint er selbst. Doch während des Rückfluges erleidet er furchtbare Schmerzen, wie dramatische Handyaufnahmen vor allem hören lassen. Die Maschine macht eine Notlandung in Omsk, wo Nawalny ins Krankenhaus kommt. Ein Krankenhaus mit mehr Polizisten und Regierungsbeamten als Ärzten, wie einer von Nawalnys Mitarbeitern meint, der zusammen mit seiner Frau Julija herbeieilt. Sie bekommen keinen Zugang, doch nach einem verzweifelten Kampf mit Hilfe der Öffentlichkeit sozialer Medien erlaubt Putin persönlich, dass der Patient nach Berlin ausgeflogen wird. Vorher haben mehrere europäische Politiker dieses Angebot gemacht.

Die Charité bestätigt, dass Nawalny mit Nowitschok vergiftet wurde, dem berüchtigten Nervengift aus der Sowjetzeit. Es führt zu mehrfachem Systemversagen und ist einige Stunden nach Anwendung nicht mehr im Körper nachweisbar. Den geächteten Nervenkampfstoff setzten russische Agenten auch gegen Sergei Skripal und seine Tochter in Salisbury ein.

Nachdem Nawalny sich entscheidet, während der Regeneration in Deutschland zu bleiben, kommt der kanadische Dokumentarist Daniel Roher über Christo Grozev in Kontakt mit Nawalny. Grozev ist Hauptrechercheur des Netzwerkes Bellingcat für Russland und fand mit öffentlichen Flugdaten heraus, dass ein kleiner Kreis von Personen immer die gleichen Reisen wie Nawalny machte. Auch nach Sibirien „begleiteten“ sie ihn. Nach ein paar, nicht mehr ganz legalen Recherchen wird klar, dass es sich um russische Agenten handelt. In der irrwitzigsten Szene des Films meint Nawalny „Lass sie uns doch anrufen und befragen …!“ Die abgebrühten Killer sagen selbstverständlich nichts, aber ein Chemiker verrät in einem atemberaubenden Gespräch von mehr als 45 Minuten alles über den Giftanschlag: Wo wurde das Mittel aufgebracht? Auf der Unterhose am Eingriff! Was passierte mit der kontaminierten Kleidung? Die haben unsere Leute im Krankenhaus beseitigt.

Nach diesem Recherche-Coup wird der Chemiker verschwinden und der meisterhafte Medienstratege wird zusammen mit großen westlichen Medien gleichzeitig Skrupellosigkeit und Stümperhaftigkeit von Putins Regime bloßlegen. Für Letzteres nutzt das Superhirn des Widerstands das Codewort Moskau-4. Denn als ein Sicherheits-Chef vom Kreml gehackt wurde, war sein Passwort „Moskau-1“. Danach wurde er wieder gehackt – mit „Moskau-2“ … und so weiter.

Rund um diese unglaublichen Ereignisse, die der Film in der verschlafenen Kleinstadt St. Blasien im Schwarzwald einfing, lernen wir auch Nawalnys Frau, die beiden Kinder und die Mitarbeiter kennen. „Er hat diese Energie, die man oft begabten Politikern zuschreibt – Obama zum Beispiel. Nawalny lässt dich so fühlen, als wärst du die wichtigste Person im Raum,“ meinte der Regisseur zum Porträtierten.

Nawalnys Vater und dessen Familie stammen aus dem Dorf Tschernobyl. Er sagt, als er Putin zum ersten Mal bei öffentlichen Auftritten sah, hatte er das vertraute Gefühl, als würde er jemandem ins Auge schauen und wissen, dass diese Person lügt. Das brachte ihn dazu, aktiv zu werden.

Die direkten Aufnahmen Rohers enden mit Alexeis schwerer Rückkehr. Sofort wurde er festgenommen und kurz zum berühmtesten politischen Gefangenen der Welt. Hunderttausende Demonstranten gingen in Russland in der Januarkälte auf die Straße, um für seine Freilassung zu protestieren.

Man merkt dem Film an, dass es schwer ist, nicht Charme und Brillanz des Widerstandskämpfers zu erliegen. Nawalnys Auftritte bei Rechten Russlands werden aber erwähnt, herrische Momente unterbrechen das perfekte Team-Bild. Das Schlusswort hat Daniel Roher: „Ich denke, wir zeigen Nawalny als Politiker, den wir trotz seiner Fehler unterstützen sollten, denn seine Mission ist von immenser Wichtigkeit. Sein Mut soll die ganze Welt inspirieren.“


Ein FILMtabs.de Artikel