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In Liebe lassen

Frankreich, Belgien 2021 (De sont vivant) Regie: Emmanuelle Bercot, mit Catherine Deneuve, Benoît Magimel, Gabriel Sara, Cécile de France, 124 Min., FSK ab 12

Das letzte Jahr eines krebskranken Schauspiellehrers ist im Drama „In Liebe lassen“ eine harte emotionale Prüfung, effektvoll verkörpert in den Rollen des Sterbenden (Benoît Magimel) und denen seiner Nahestehenden (Catherine Deneuve, Cécile de France). Das zeitweise überstrapazierte Mitempfinden wird aufgefangen vom Hospizdoktor und Laiendarsteller Gabriel Sara, der den Film mit dokumentarischen Elementen herausragend macht.

Eine erschütternde Erfahrung für eine Krankenschwester beim Sterben ihres Patienten steht am Anfang: „Schmerz, Schuld, Einsamkeit“ sind die Worte, mit denen das Pflegepersonal seine Gefühle beschreibt. Der Onkologe Dr. Eddé (Dr. Gabriel Sara), der diese Therapie-Sitzung für Pflegende leitet, schlägt einen Perspektiv-Wechsel vor, um die Ohnmacht gegenüber dem Tod zu überwinden. Nicht das Sterben sei das Entscheidende, die restliche Zeit mit dem Patienten sei das Wertvolle, das sie geben würden. Daraufhin stimmt er „Lean on me“ (Stütze dich auf mich) selbst auf der Gitarre an, die Belegschaft singt erleichtert mit.

Dementsprechend lautet Dr. Eddés Vorschlag an den unheilbar an Bauchspeicheldrüsen-Krebs erkrankten Schauspiellehrer Benjamin (Benoît Magimel): Wir kämpfen nicht einen aussichtslosen Kampf gegen den Krebs, wir wollen Ihnen den Rest des Lebens gut gestalten. Widerstrebend lässt sich Benjamin auf eine Chemotherapie ein. Noch eine Weile bereitet er seine Schauspielerinnen und Schauspieler auf ihre Aufnahmeprüfungen vor. Abschied ist auch hier Thema, das große Gefühle zeitigen soll. Die Avancen einer jungen Studentin muss er ebenso auf Distanz halten, wie die unbeholfenen Hilfsangebote seiner krampfhaft fürsorglichen Mutter Crystal (Catherine Deneuve). Die ruft von schlechtem Gewissen getrieben endlich Benjamins ehemalige Freundin und deren Sohn an. Den Sohn, den er nie kennenlernt, weil Crystal ihm einst davon abriet.

Das letzte Jahr Benjamins wird aufgeteilt in vier Jahreszeiten, jeweils eingeleitet von den therapeutischen Sitzungen Dr. Eddés und seines Personals. „In Liebe lassen“ ist der zweite Film der Regisseurin, Schauspielerin und Autorin Emmanuelle Bercot („Standing Tall/La tête haute”, 2015) mit Catherine Deneuve und Benoît Magimel. Eigens für diese Stars schrieb sie mit ihrer Ko-Autorin Marcia Romano das Drehbuch. Auch Cécile de France („Der Junge mit dem Fahrrad”) hat als verliebte Krankenschwester eine starke kleine Rolle. Typische Klischee-Bausteine wie die Abschiedsgeschichte mit dem unbekannten Sohn, der zu wenig Zeit hat, seinen Vater noch kennen zu lernen, machen „In Liebe lassen“ zu einem emotionalen Schwergewicht. Dabei wollen die Geiger und stark bedeutungsvolle Songs („Let my people go“) mit Gewalt noch mehr Gefühle rauskitzeln.

Im Gegensatz dazu gibt es die nahe am Dokumentarischen spielenden Einsichten über den Prozess des Abschieds. Letztere sind tatsächlich die Interessanteren. Dazu passt, dass der Laien-Darsteller Dr. Gabriel Sara als Dr. Eddé durch seine enorme Empathie und Freundlichkeit locker mit den großen Stars mithält. Catherine Deneuve spielt Benjamins Mutter, die große Szenen liebt. Der wahre Star ist jedoch der New Yorker Onkologen und Laiendarsteller Dr. Gabriel Sara, der die Deneuve in die Schranken weist. Er äußert bittersüße Wahrheiten über das unvermeidliche Sterben. Oder fünf einfache und sehr kurze Sätze, mit denen sich der Sterbende von den Liebsten verabschieden kann. Es sind esoterische Sprüche, über die man nachdenken kann. Wie „den Schreibtisch des Lebens aufräumen“, was die Handlung mit dem Auftauchen des vergessenen Sohnes vorantreibt. Etwas mehr Aufgeräumtheit hätte auch dem des Guten übervollen Film gutgetan.


Ein FILMtabs.de Artikel