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Last Night in Soho

Großbritannien 2021, Regie: Edgar Wright, mit Anya Taylor-Joy, Thomasin McKenzie, Matt Smith, Terence Stamp, Diana Rigg, 117 Min. FSK: ab 16

Die verwaiste Eloise Cooper (Thomasin McKenzie) zieht vom provinziellen Cornwall zum Modedesign-Studium ins wilde London. Nicht nur ihre Klamotten sind altmodisch, sie verhält sich geradezu altbacken zwischen den Party-People in ihrem Studenten-Hotel mitten im Lebe-Viertel Soho. Und flieht in ein altes Haus voller Erinnerungen. Das seit den 70ern nicht mehr renoviert wurde, wie die Vermieterin Alexandra erzählt. Geradezu fantastisch wird der „Umzug“ in der ersten Nacht, als sich Eloise im swingenden Soho der Sechziger Jahre wiederfindet. Das schüchterne Mädchen vom Lande sieht sich im Spiegel nach einem auch tricktechnisch grandiosen Wechsel als die freche und mutige Sandy (Anya Taylor-Joy). Die angehende Sängerin erobert den Club auf der anderen Seite der Straße und auch den Musik-Manager Jack (Matt Smith). Dieser vermeintliche Freund und Partner wird allerdings bald zu ihrem Zuhälter.

Über viele Spiegelungen wechselt die aufregende Geschichte zwischen Eloise und Peggy. Die Studentin schaut im Pyjama dem Treiben des gedemütigten Alter Ego zu. Sie sieht sich im Spiegel in den schillernden Klamotten des Nachtlebens, die sie zu neuen Entwürfen für ihr eigenes Studium inspirieren. Doch immer mehr von Sandras Leben dringt ins Zimmer ein und mit ihm die ekligen Freier. Bis ein Messer gezückt wird und Sandy blutüberströmt auf ihrem Bett liegt.

Nun brachte sich schon Eloises Mutter wegen einer Schizophrenie um. Was die Polizeibeamten schnell herausfinden, als die Studentin einen Mord melden will, der vor Jahrzehnten in ihrem Zimmer stattgefunden haben soll. Droht der Wahnsinn, an der ihre Mutter litt, auch sie zu ergreifen? Oder läuft hier noch jemand herum, der ein Leben auf dem Gewissen hat?

Das Werk von Regisseur und Autor Edgar Wright wirkte in seinen größten Erfolgen, in der „Cornetto-Trilogie“ mit „Shaun of the Dead“ (2004), „Hot Fuzz – Zwei abgewichste Profis“ (2007) und „The World’s End“ (2013) wie eine filmische Lachparade voller Filmzitate. Ein Spaß mit Genre-Parodien. Doch seit dem sensationellen musikalischen Thriller „Baby Driver“ (2017) verlagerte sich der Fokus von den zwei Scherzkeksen Simon Pegg und Nick Frost in den Cornetto-Hauptrollen zum enormen Können des Regisseurs. Der gestaltete nebenbei mit dem Drehbuch wesentlich Spielbergs „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ (2011) und die Marvel-Verfilmung „Ant-Man“ (2015) mit.

Nun schwelgt Wright richtig im Stil und in den (referentiellen) Songs der Swinging Sixties: „Downtown“ von Petula Clark, diesmal gesungen von Anya Taylor-Joy alias Sandy, oder Burt Bacharachs „Wishin’ and Hopin’“, gesungen von Dusty Springfield würden für den Zeitkolorit reichen, doch die Ausstattung hat sichtbar Ãœberstunden geleistet. So kann Wright äußerst stilvoll die Fantasy-Geschichte ausmalen, die etwas an Neil Gaimans Ausflüge in ein doppelbödiges London erinnert. Da es Frauen in den so schillernden 60ern keineswegs besser ging als in #metoo-Zeiten, gerät Sandys Leben auch zum ekligen Horror. Die aus „Das Gamengambit“ berühmte Anya Taylor-Joy lässt mit ihren Riesenaugen eine hoffnungsvolle junge Frau gekonnt erst aufscheinen und dann verblassen. Matt Smith, der „Timelord“ aus „Dr. Who“, erschreckt als charmant-schmieriger Verführer Jack. In den nicht unwichtigen Nebenrollen erweist Wright dem alten britischen Film eine Referenz: Diana Rigg, als Emma Peel aus der Fernsehserie „Mit Schirm, Charme und Melone“ selbst eine Ikone der Sechziger, spielt die Vermieterin Miss Alexandra Collins. Und Terence Stamp, der Frauenheld, war im richtigen Leben mit Julie Christie und Brigitte Bardot zusammen. Also ist auch „Last Night in Soho“ wie schon „Baby Driver“ ein in bis ins Kleinste gelungenes Kino-Glanzstück.


Ein FILMtabs.de Artikel