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Fabian oder Der Gang vor die Hunde

BRD 2021 Regie: Dominik Graf, mit Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker 186 Min., FSK ab 12

Dominik Graf ist einer der begabtesten Regisseure unsere Zeit. Sogar seine Tatorte sind noch halbwegs interessant. Auch weil er mit „Im Angesicht des Verbrechens“ und „München – Geheimnisse einer Stadt“ so etwas wie Städte-Porträts hingelegt hat, liegt die Verfilmung des Klassikers von Erich Kästner in guten Händen. Das Bildungsbürgertum wird nicht zu sehr verschreckt, die Cineasten freuen sich über nette Details und eine ansprechende Arbeit.

Der Schriftsteller Jakob Fabian (Tom Schilling) arbeitet im Berlin des Jahres 1931 nur fürs Geld in der Werbeabteilung einer Zigarettenfabrik. Den Frust lebt er nachts mit seinem wohlhabenden Freund Labude (Albrecht Schuch) in verruchten Kneipen, schillernden Bordellen und wilden Künstlerateliers aus. Dann lernt Fabian die selbstbewusste Cornelia (Saskia Rosendahl) kennen, die beim Film arbeitet. Er verliebt sich, beide haben eine verrückt glückliche Zeit miteinander. Bis die Wirtschaftskrise zuschlägt. Fabian verliebt seinen Job und Cornelia macht Karriere als Schauspielerin, weil sie sich bei ihrem Chef und Verehrer prostituiert. Zu viel selbst für den hedonistischen Fabian, der an seiner Liebe zerbricht.

Erich Kästner, der sich mit einem fingierten Filmdreh im Tiroler Mayrhofen zu Kriegsende rettete, fing mit seinem 2013 neu betitelten Roman „Der Gang vor die Hunde“ (Vorher: Fabian. Die Geschichte eines Moralisten, 1931) die Zeitstimmung der frühen Dreißiger und die Vorzeichen der Diktatur ein.

Auch der Film lässt die Ruhelosigkeit der Zeit spüren. Mit vielen grandiosen Sätzen Kästners: „Krieg, Inflation, Arbeitslosigkeit. Man lagert ab, nicht nur der Körper, auch der Kopp.“ „Fabian“ ist etwas Skandalchronik vom Sodom und Gomorra des alten Berlins. Aber auch eine wunderschöne Liebesgeschichte. Und das Porträt einer Lebenshaltung: Fabian ist ein sozialer Mensch, gibt Bettlern Geld und holt einen Obdachlosen zum Entsetzen der Kellner zu sich ins Restaurant. Sein Selbstbild hingegen: „Kein Ehrgeiz. Ich sehe zu, das ist genug. Wem ist damit geholfen? Wem ist zu helfen?“ Und über seinen Job sagt er treffend vernichtend: „Blumigen Unsinn schreiben, damit die Welt noch mehr Zigaretten rauchte als zuvor. Den Untergang Europas konnte er auch woanders abwarten.“

Graf führt sein Können in vielfältigen Darstellungsformen vor: Alte Dokus. Split Screen, Stadtkarten und Stummfilm-Titel. Tom Schilling zieht wieder wie in „Oh Boy“ durch die Nacht, nur diesmal sieht vieles nach „Babylon Berlin“ aus. Allerdings mit dem speziellen, besonders echt wirkenden Graf-Touch. Über einen Gang der heutigen U-Bahn taucht der Film elegant in die Vergangenheit ein und findet noch viel Zeitgemäßes in Architektur und Kunst.

Saskia Rosendahl brilliert als tragisches Herz des Films mit pragmatischem Überlebenswillen. Ein Stehauf-Mädchen und ähnlicher Typ wie die Charlotte „Lotte“ Ritter von Liv Lisa Fries in „Babylon Berlin“ nur mit gebrochenem Herzen. Eine großartige Meret Becker bringt als Zuhälterin für schöne Jungs wunderbare Sätze, die wie für sie gemacht scheinen – „Verhungern ist Geschmacksache“. Und auch im ironischen Off-Kommentar schwingt eine Haltung mit, der vorgeblich alles egal ist. Während die SA schon Leute auf der Straße verhaftet.

Das alles ist auch über mehr als drei Stunden Länge nett anzusehen. Wobei Fabian selbst am zynischsten die Sinnfrage gestellt hätte: Wozu all der Aufwand? Vor dem Faschismus warnen wie gehabt? Die Gefahren für heute liegen woanders und werden in anderen Filmen gezeigt.


Ein FILMtabs.de Artikel