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Cruella / Disney+ *****

„101 Dalmatiner“ war im Jahr 1961 der 17. abendfüllende Zeichentrickfilm von Disney. 60 Jahre später läuft der neue Disney „Cruella“ nicht im Kino, die Freigabe ist von 0 auf 6 Jahre angehoben worden, die Welt steht kopf. Denn wir lieben plötzlich die böse Cruella. Weil wir nach dieser herrlichen Vorgeschichte namens „Cruella“ verstehen, weshalb die Modedesignerin unbedingt einen Mantel aus Dalmatiner-Fellen haben will. Ein in Inszenierung und Hauptrollen von Emma Stone und Emma Thompson überzeugender Spaß mit großer Bandbreite an Gefühlen.

Rebellisch ist die kluge Estella schon als kleines Mädchen – beim Nähen mit der Mutter zerreißt sie entschlossen das Muster, um etwas ganz Neues zu schaffen. Die Kindheit in bescheidenen Verhältnissen gerät beim Schuleintritt aus den Fugen: Wegen ihrer links schwarzen und rechts weißen Haaren wird Estella von den Idioten verspottet, die auch Behinderte mit Essen bewerfen. Doch damit sind sie beim ebenso intelligenten wie schlagfertigen Mädchen an die Falsche geraten. Die klasse Strafaktionen beantwortet ein verständnislos vertrockneter Schulleiter mit dem Rauswurf. Mama Catherine (Emily Beecham) will darauf nach London ziehen, doch ein Zwischenstopp auf dem überwältigenden Anwesen der Baroness von Hellman (Emma Thompson) endet tragisch. Wie bei Disney üblich, sterben Mütter von Prinzessinnen und anderen gerne vorzeitig.

So landet die junge Estella (Billie Gadsdon) einsam und traurig am Traumort London, wird aber schnell von zwei diebischen Straßenjungen aufgenommen. Zeit für Trauer bleibt keine bei rasanten Verfolgungen und raffinierten Diebeszügen im Swinging London der 70er Jahre. Mit einem flotten Sprung über zehn Jahre leitet Regisseur Craig Gillespie („Lars und die Frauen“, „I, Tonya“) die entscheidende Phase in Estellas Karriere ein. Ein weiterer Betrug bringt das fies geniale Mädchen Emma Stone ihrem Traum einer Modemacherin näher – als Putzfrau im Modehaus. Erst als sie im besoffenen Frust ein Schaufenster punkig kreativ umgestaltet, nimmt sie die Chefin, Baroness von Hellman, ins Design-Team auf. Ausgefallene Ideen machen das Mädchen zum Liebling der kapriziös herrischen Stil-Diktatorin, bis Estella erfährt, wer am Tod der vermeintlichen Mutter schuld ist. Die Wut gebiert atemberaubende Protest-Kreativität. Aus Estella wird Cruella mit nur einem Ziel: Kunst und Probleme machen!

Sicher ist „Cruella“ erst einmal wieder Variante des Disney Werkschatzes, diesmal mutig Perspektiven und Sympathien auf den Kopf stellend. „101 Dalmatiner“ und auch „Schneewittchen“ neu erzählt. Aber immer ist in Cruellas Auftritt und ihren wilden Entwürfen die Modemacherin des Punk Vivienne Westwood zu entdecken. (Während ein Assistent der Baroness verdächtig nach Yves Saint Laurent aussieht.) Das raffinierte Rache- und Selbstfindungsdrama ist Dank mitreißend frechem Schauspiel und vielen Ausstattungs-Orgien trotz gebrochenem Mädchen-Herzens ein großer Spaß. Neben Emma Thompson, die scheinbar genüsslich pointiert einen miesen Charakter mit messerscharfen Sätzen spielt, erfreut Mark Strong als treuer Diener der fiesen Biester. (Glenn Close, im letzten Realfilm noch Darstellerin der alten Cruella, ist als Ausführende Produzentin dabei.)

Vollendet wird der Filmspaß um eine unangepasste Power-Frau durch einen grandiosen Soundtrack mit nicht nur für den Zeitkolorit sehr passenden Songs: Die rebellische Dynamik Cruellas erklingt aus „These Boots Are Made for Walkin‘“ von Nancy Sinatra, Nina Simones „Feeling good“ oder Blondies „One way or another“. Im finalen „Sympathy for the De Vil“ (sic!) Der Stones wird der ganze Film zusammengefasst: Ab jetzt ist Cruella de Vil Sympathie-Figur und die Süßlichkeit der Dalmatiner-Welpen Pongo und Perdita Vergangenheit. Der bondartig reizvolle Abspann verspricht dann eine Fortsetzung, die gerne erwartet wird.

„Cruella“ (USA 2021), Regie: Craig Gillespie, mit Emma Stone, Emma Thompson, Mark Strong, 135 Min., FSK: ab 6

Ab dem 28. Mai für 21,99 € („VIP-Zugang“) auf Disney+


Ein FILMtabs.de Artikel