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Songs My Brothers Taught Me / Mubi

„Nomadland“ von Chloé Zhao war mit drei Auszeichnungen – Bester Film, Beste Hauptdarstellerin (Frances McDormand) und Beste Regie – der große Gewinner der letzten Oscar-Verleihung. Auf einen Kinostart des Dramas um eine moderne Nomadin in den USA müssen wir warten – ein Termin steht noch nicht fest. Doch der ebenso eindrucksvolle Debütfilm der Chinesin Chloé Zhao, „Songs My Brothers Taught Me“, ist zum perfekten Zeitpunkt jetzt online zu sehen. Die intensive Geschichte von Bruder und Schwester in einem Reservat South Dakotas begeistert sowohl in den gespielten wie in den halb-dokumentarischen Teilen.

Der Teenager Johnny (John Reddy) und seine jüngere Schwester Jashaun (Jashaun St. John) leben in einer kleinen Stadt im Pine-Ridge-Reservat. Bestimmt von den Lakota Sioux, aber auch von Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Drogen, Kriminalität, Selbstmorden und Depression. In der Schule wollen alle Jungs Bullenreiter werden, Johnny selbst will mit seiner Freundin weg, nach Los Angeles. Dafür verdient er Geld mit Alkohol-Schmuggel und illegalem Verkauf. Der ältere Bruder sitzt schon im Gefängnis und meint, das sei besser, als noch bei der Mutter zu sein. Die kümmert sich weniger um die Kinder, als um ihre Alkoholsucht und eine Kirchengemeinde.

„Songs My Brothers Taught Me“ begeistert von den ersten Aufnahmen an mit einer freien, großartigen Kamera: Weite und Stille der Prärie, aufgenommen mit speziellen Weitwinkel-Objektiven, erinnern an die Filme von Terrence Malick, an „The Tree of Life“ oder „Der schmale Grat“. Chloé Zhaos Erstling ist auch eine Ode an die Prärie, die „plains“ und die karstige Erosionslandschaft der „Badlands“ von South Dakota. „Badlands“ so hieß der erste Film von Terrence Malick aus dem Jahr 1973. Johnny fasst zusammen: „Es ist schwer, dort zu leben, schwer von dort wegzugehen.“

Der Unfall-Tod des längst ausgezogenen Vaters bringt Johnny und Jashaun mit vielen anderen Halbgeschwistern zusammen, neue Verbindungen entstehen. Die kleine Schwester, traurig über Johnnys Pläne, freundet sich mit einem voll-tätowierten und meist voll besoffenen Graffiti-Künstler an, der Traditionen in moderne T-Shirt-Kunst verwandelt. Von ihm stammt auch der Hinweis auf eine Prophezeiung des Häuptlings Crazy Horse: Nach dem Massaker von Wounded Knee im Jahre 1890, bei dem wehrlose Indianer von den Soldaten abgeschlachtet wurden, würde es sieben Generationen bis zu einem Neuanfang dauern. Die siebte Generation ist nun die von Jashaun.

Regisseurin Chloé Zhao schrieb auch das Drehbuch zu der berührenden Geschichte. Während sie in New York lebte, las sie von der hohen Selbstmordrate in Pine Ridge und reiste in das Reservat, um vor Ort Einheimische zu treffen. Sie verbrachte dort vier Jahre, während sie an dem Film arbeitete. Zur großen Authentizität tragen auch die Laiendarsteller bei. So viel Einfühlungsvermögen, so viel Können und Kunst wurde zurecht im Nachfolger „Nomadland“ selbst mit dem Mainstream-Preis Oscar anerkannt. Dokumentarisch bei diesem wehmütigen, aber nicht hoffnungslosen Porträt einer abgeschlossenen Gemeinschaft sind die Einblicke in Wohnungen und Lebenssituationen. Atmosphärisch überwältigend dann grandiose Landschaftsaufnahmen. „Songs My Brothers Taught Me“ lässt den Konflikt mitfühlen, die Probleme, den Alkohol und die Aussichtslosigkeit. Aber auch das freie Leben in der Prärie, den Rückhalt einer – sehr großen – Familie und der Gemeinschaft mit alten Traditionen. Auch ohne die Oscar-Nachhilfe ein unbedingt sehenswertes Filmereignis und die Entdeckung eines ganz großen Regietalents.

(Mubi) *****

„Songs My Brothers Taught Me“ (USA 2015), Regie: Chloé Zhao, mit John Reddy, Jashaun St. John, Irene Bedard, 98 Min., Altersfreigabe: Ohne Angabe


Ein FILMtabs.de Artikel