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Wir Kinder vom Bahnhof Zoo / Amazon

„Und wir sind dann Helden, für einen Tag.“ David Bowie sang seine „Heroes“ (Helden) auf Deutsch und durch den Trailer zu Produzent Eichingers Film von 1981 „Christiane F.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ steht der Song mittlerweile für den Film. Helden nicht mal für einen Tag, sondern für einen Schuss Heroin – das sind die „Kinder vom Bahnhof Zoo“, die jugendlichen Prostituierten beiderlei Geschlechts im Zentrum vom Berlin der 70er Jahre. Auch in der Neuauflage des damals sensationellen Reportage-Buches vom Stern, der neuen Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, sorgt „der Schuss“ für grandiose Bild-Räusche mit erschreckenden Folgen bei gleich einer ganzen Gruppe Jugendlicher rund um Christiane F.

Es sind anfangs gewöhnliche Dramen, die vor allem drei Mädchen von ihren Familien entfremden: Christiane (Jana McKinnon) erlebt wie die Ehe der Eltern in der Hochhaus-Tristesse der Gropiusstadt wegen ihres unreifen, aber trotzdem geliebten Vaters zerbricht. Die Noten gehen in den Keller, die Verliebtheit erwischt den Falschen.

Die zierliche, ja puppenhafte Babsi (Lea Drinda) kommt aus bester Villa, wird allerdings von der strengen Großmutter kontrolliert. Schon Babsis erste Szene am Bahnhof Zoo ist eine Flucht aus dem Zug, der sie zu einem Internat bringen sollte. Ihre Begeisterung für den DJ Dijan bringt mit einem mörderischen Bordell einen düsteren Krimi-Ton in die Serie.

Die ruppige Stella (Lena Urzendowsky) wächst mit alkoholkranker Mutter in einer Charlottenburger Kneipe auf. Sie hat zu früh gelernt, für sich selbst und die Geschwister zu sorgen. Stella wirkt robust, doch nach einer Vergewaltigung durch einen der „netten Onkel“ aus der Kneipe haut auch sie ab und taucht mit den Freundinnen ins Nachtleben rund um die „Diskothek Sound“ ein. Das pulsierende Herz von Befreiung und Flucht wie der Nachtclub „Moka Efti“ in „Berlin Babylon“. Im „Sound“ heben die „Kinder vom Bahnhof Zoo“ zum Ende der Auftakt-Folge das erste Mal tatsächlich ab.

Die Drogen dazu sickern langsam über die Jungs Axel (Jeremias Meyer), Benno (Michelangelo Fortuzzi) und Michi (Bruno Alexander) ein, die teils noch brav Lehre bei einem alten Nazi machen, aber auch schon Erfahrungen mit dem berühmten Schwulen-Strich hinter dem Bahnhof Zoo haben. Die „Kinder“ landen nicht direkt auf der Straße. Christiane und ihre Freundinnen bekommen erst Unterschlupf bei einem schmierigen Tierhändler, der sich als lieber Onkel ausgibt und sowohl Drogen wie Kinderkörper verkauft.

Die Neuverfilmung von „Christiane F.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ baut wieder auf der ungemein erfolgreichen Reportage von Kai Hermann und Horst Rieck auf, fügt aber der Film-Titelfigur weitere Schicksale hinzu. Es gibt Selbstmordversuche und schließlich den Tod von drei der Hauptfiguren. Trotzdem wirkt das Buch von Head-Autorin Annette Hess nie billig oder melodramatisch. Im Gegensatz zu „Tribes of Europa“ passen die Darsteller und wecken Mitgefühl. Die Stimmung vor allem in den vielen eindrucksvoll surrealen Rauschszenen wird stark angeschoben vom spannenden Soundtrack: Der Wahl-Berliner Bowie ist auch in der Serie wieder ganz groß: Live im zentralen Konzert, in Christianes Fantasien und am Pissoir nebenan. Originale wie „Rebel Rebel“ oder „Starman“ lösen sich ab mit einem Cover des (späteren) „Modern Love“. Das macht so viel Spaß, dass wie 1981 wieder Kritik aufkommt, der böse Rausch sähe doch verführerisch gut aus. Die Abhängigkeit von Amazon und Netflix scheint da allerdings die größere Gefahr zu sein.

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (BRD 2021), Regie: Philipp Kadelbach, mit Jana McKinnon, Lena Urzendowsky, Michelangelo Fortuzzi, Lea Drinda, Jeremias Meyer, acht Episoden à 45 Min., FSK: ab 16


Ein FILMtabs.de Artikel